WSK-Trainer Heli Kraft: ‚Man muss vertragen, dass einer mal 'Du Oaschloch' sagt'

Platz 13 und schlechte Spiele. Der Wiener SK ist ein „Traditionsverein in der Krise". Der neue Trainer Helmut Kraft will 2013/14 aber wieder vorne mitspielen. Im ausführlichen Interview mit 90minuten.at erklärt der Coach, der Traditionsvereine wie den LAS

helmut kraft c Georg sander

Zwei Jahre Fußballpause spielen dabei für den gelernten Hauptschullehrer kaum eine Rolle: „Die Trainingslehre und die Menschenführung haben sich in den letzten zwei Jahren nicht geändert", sagt er bei einem Tee im Cafe Blaustern und weiß auch, dass „man auf die Qualität der Mannschaft eingehen und das System und die Spielanlage danach richten muss."

90minuten.at: Sind Sie in den letzten Monaten durch die Arbeit in der PR bei dem Footballteam AFC Rangers vom Fußball ganz weggekommen?

Helmut Kraft: Seit der Entlassung beim LASK im November 2010 habe ich direkt mit Fußball nichts gemacht. Ich habe zwar die Spiele der Bundesliga und der Heute für Morgen-Ersten Liga im Fernsehen verfolgt, aber mit Spielern habe ich nicht gearbeitet.

 


"Diese Stimmung, in der der Verein und nicht das Ergebnis gefeiert wird, ist einzigartig."


 
 

Sind Sie mit den neuesten Entwicklungen trotzdem vertraut?

Im Fußball geht das nicht von heute auf morgen oder von einem aufs nächste Jahr. Bei großen Events wie Welt- oder Europameisterschaften entwickeln sich gewisse Trends -  oder Teams wie Barcelona oder die spanische Nationalmannschaft setzen Trends. Das Tiki Taka oder das lange Ballhalten sieht man schon. Aber wenn du in Österreich bei der Austria oder Ried bist – die großen Entwicklungen nimmst du nur von der Ferne wahr. Die Trainingslehre und die Menschenführung haben sich in den letzten zwei Jahren nicht geändert. Viele spielen mit einem Stürmer, das finde ich im Grunde nicht gut, aber aufgrund gewisser Trends hat sich das so entwickelt. Warum aber sollte man, wenn man zwei gute Stürmer hat, einen draußen lassen?

 

Mit zwei großen Stürmern spielte man ja auch in den Hochzeiten des 4-4-2 nicht.

Man muss auf die Qualität der Mannschaft eingehen und das System und die Spielanlage danach richten. Ob 4-2-3-1, 4-1-4-1 oder 4-4-2 – das muss auf die Qualität der Mannschaft ausgerichtet sein. Man braucht einen beweglichen und einen großen Stürmer. Maierhofer und Janko passt ja nicht. Das funktioniert bis in die untersten Ligen nicht, dass zwei Stürmer nur vorne warten, bis der Ball rein fliegt.

 

Kommen wir zur Gegenwart: Wie kam nun der Kontakt zum Wiener SK zu Stande?

Sportchef Norton Radaj und ich sind schon seit Jahren in Kontakt gewesen, zum Beispiel fragte er, was ich von verschiedenen Spielern halte. Als Trainer habe ich immer wieder Spieler geschickt, die bei mir im Probetraining waren. Norton und ich haben schon ziemlich lange guten Kontakt und dadurch, dass die Herbstmeisterschaft nicht so gut verlaufen ist, kam es zur Entlassung von Franz Maresch. Man wusste, dass ich keinen Job hatte. Schon vor zwei Jahren hat er mich angerufen, da war ich aber beim LASK. Für mich war der Sportklub immer schon ein Thema: er hat mich angerufen und wir sind uns schnell einig geworden.

 

Sportlich steht der WSK nicht gut da. Muss ein Verein in Abstiegsnot in der Regionalliga etwas Besonderes sein, wenn man wie Sie schon in der Bundesliga als Coach gearbeitet hat?

Die Tabellensituation ist sicherlich nicht der Grund, warum man hingeht. Der Verein ist der Grund. Der WSK stellt in Österreich etwas Besonderes dar, auch wenn er seit einigen Jahren sein Dasein in der dritten Liga fristet. Er hat Tradition, hat in Wien einen besonderen Stellenwert. Nachdem ich schon länger in Wien wohne, habe ich natürlich mitgekriegt, dass der Sportklub hier eine Institution ist, die ihresgleichen sucht. In der Regionalliga gibt es Vereine, bei denen man mehr verdienen kann, aber nichts, wie den WSK. Von der Friedhofstribüne über die Tradition des Vereins sind das sympathische Eigenschaften, die mich nicht lange nachdenken ließen.

 


"Man muss aber auch vertragen, dass einer mal „Du Oaschloch!" sagt. Wird man aber angegriffen, körperlich attackiert, hört sich jedes Verständnis auf. Die echten Fans tolerieren das nicht."


 

Sie waren schon bei den Traditionsvereinen LASK oder Wacker Innsbruck – wie ist das Umfeld bei solchen Vereinen?

Die Sportklubfans sind anders engagiert. Man kann von den Linzer und Innsbrucker Fans nicht eins zu eins auf den Sportklub schließen. Die Menge ist eine andere. In Linz waren sechs-, siebentausend Menschen, in Innsbruck noch mehr. Aber es ist für die Regionalliga bemerkenswert, dass hier 1.500 Fans sind. Was die auszeichnet: Sie sind sehr tolerant gegenüber anderen Mannschaften, es gibt äußerst selten Schmährufe. Eher werden nach dem Schlusspfiff die gegnerischen Fans mit Applaus verabschiedet. Diese Stimmung, in der der Verein und nicht das Ergebnis gefeiert wird, ist einzigartig.

 

Was ist der Unterschied zwischen Pasching und Wiener Neustadt und einem Verein wie den vorher erwähnten?

Pasching hat damals international gespielt, der Fanstamm betrug 2.000 Fans. Das ist ein Linzer Vorort und hat nicht die Tradition eines LASK. Genauso war es in Wiener Neustadt. Der Verein wurde aus dem Boden gestampft. Aufgrund der Auswärtsfans waren schon drei bis fünftausend Fans dort. Aber bei Wiener Neustadt gegen Ried kam nur wenig Stammpublikum. Das konnte nicht wachsen. So eine Fanentwicklung wie in Innsbruck geht nur über Jahre.

 

Haben sich die Fanmassen negativ ausgewirkt?

Angepöbelt wird man schon. In Innsbruck konnte man es in den letzten Jahren sehen, dass die Spieler nach Auswärtsspielen beim Bus von Nicht-Fans angepöbelt wurden. Das passiert dir in Pasching oder in Wiener Neustadt nicht. Die Öffentlichkeit ist immer ein zweischneidiges Schwert. Wenn es gut geht, ist jeder gerne in der Menge. Wenn es nicht gut geht, will man davon nichts wissen. Man muss aber auch vertragen, dass einer mal „Du Oaschloch!" sagt. Wird man aber angegriffen, körperlich attackiert, hört sich jedes Verständnis auf. Die echten Fans tolerieren das nicht.

 

Merken Sie im Umgang mit den Spielern hier, dass die auch sehen, dass diese nicht nur gegenüber dem Trainerteam und der Klubführung Verantwortung haben, sondern auch den Fans gegenüber?

Das spürt man. Die Spieler haben eine ganz andere Einstellung dem Verein und den Fans gegenüber. Spieler, die von irgendwo her kommen, können das in kurzer Zeit nicht so verarbeiten. Es ist nun Mal so, dass Vereine Spieler selten über lange Jahre beschäftigen. Hier sind es Kicker wie Ingomar Szabo oder Marco Perez, die schon sehr lange da sind und sich mit dem Verein identifizieren. Die wissen, was sie hier für ein Umfeld haben. Kommt einer aus der Region, gibt es mehr Verantwortungsbewusstsein. Vaclav Kolousek hat auch gut Deutsch können und geht auf die Menschen zu. Wenn die Spieler auf die Menschen zugehen, kommt das retour. Das ist bei Traditionsvereinen mehr verankert.

 

Irgendwann beginnt aber jede Geschichte. Was ist das Positive an neueren Vereinen? Ist das „gemütlicher"?

Das kommt immer mit hinein. Die Leute sind „gmiadlich". Es ist zwar gut, dass nichts passiert, wenn man verliert, aber irgendwie fehlt ein gewisser Prozentsatz. In Pasching war es so, dass gleich europäische Ziele verfolgt wurden. Dann ist das ein anderer Antrieb. Die Spieler wollten wieder Europacup spielen. In Wiener Neustadt wird es nun immer so sein, dass sie nicht absteigen wollen. Die 1.500 Neustädter kommen, egal ob sie absteigen. Man hat es fein, ruhig, angenehm, aber vielleicht zu sehr.

 

Wenn ein Mäzen daher kommt, soll er gleich in den Europacup wollen?

Man sollte zumindest diese Einstellung haben. Wenn gut gezahlt wird, muss immer eine gute Leistung abgerufen werden. Das ist aber nicht immer machbar. Stronach kam und das Ziel war auch in meinem Vertrag der Aufstieg. So war es auch bei den Spielern. Der Vertrag verlängerte sich im Falle des Aufstiegs, das Gehalt erhöhte sich. Dahingehend gab es den Ansporn. Den gibt es jetzt nicht mehr. Ich kann schon eine Nicht-Abstiegsprämie ausmachen – aber was ist das? Etwas nicht zu tun, ist kein Anreiz. Es ist schwierig, bei so einem Verein die bestimmten Prozente herauszuholen. Das geht durch Erfolge, internationale Wettbewerbe oder eben Tradition. 100 Jahre Geschichte hat nicht jeder Klub.

 


"Die Regionalliga Ost ist die stärkste Regionalliga, dann Mitte. Dieses Gefälle gibt es. Aber bei den guten Mannschaften, wie etwa Wattens, ist wenig Unterschied."


 

Vor zehn Jahren waren Sie im Tiroler Amateurfußball, dann folgten Jahre im Profibereich. Nun heißt es wieder Amateurfußball. Was hat sich verändert?

Das Physiologische hat sich stark weiter entwickelt. Damals wurde nicht so viel und so intensiv trainiert wie jetzt. Die Qualität war damals nicht so hoch. Er hat sich in vielerlei Hinsicht nach oben entwickelt. Die Spieler müssen viel mehr bereit sein, für den Fußball mehr zu geben. Mehr Trainings, man muss auf Trainingslager fahren. Aber die Bedingungen sind besser geworden. So ein Trainingszentrum wie beim Sportklub hätte es vor zehn oder fünfzehn Jahren in der Regionalliga nie gegeben. Man sieht das auch in Tirol. Der Fußball hat einen Aufschwung erlebt.

 

Von wie vielen Trainings reden wir konkret?

Beim Sportklub gibt's vier bis fünf Trainings plus individuelles Kraft- und Ausdauertraining. Vor zehn Jahren gab es drei Einheiten, da war alles drin.

 

Wird mehr oder weniger gezahlt?

Ich denke, es wird mehr gezahlt, weil mehr trainiert wird. Aber die Finanzämter und Versicherungen schauen genauer hin als damals. Man muss jetzt in jeder Hinsicht öffentlicher arbeiten. Aber man muss nur in die Politik schauen, da wird wohl mehr Geld verschoben, als jemals zuvor.

 

Gibt es ein Ost-West-Gefälle?

Die Regionalliga Ost ist die stärkste Regionalliga, dann Mitte. Dieses Gefälle gibt es. Aber bei den guten Mannschaften, wie etwa Wattens, ist wenig Unterschied. Das war damals nur, weil Hobel zu sehr den Panenka machen wollte. An der Spitze kann der Meister aus dem Westen mit dem im Osten mithalten.

 


"Der Direktaufstieg ist nicht das Allheilmittel. Damit sind die Probleme mit Fernseh-tauglichem Flutlicht, Sitzplätzen und den Angestellten nicht gelöst."


 
 

Viele Vereine hadern mit den Finanzen. Mit dem Aufstieg aus der Amateurliga in den Bezahlfußball müssen plötzlich 19 Profis her. Stimmt da etwas nicht?

Das ist ein Riesensprung. Der größte Sprung ist zwischen Regionalliga und zweiter Liga. In die Bundesliga rauf, da können alle mithalten. Das ist seit Jahren so. Die Voraussetzungen beim Stadion und beim Kader sind aber von der dritten in die zweite Liga ganz andere. Man braucht Angestellte. Da sollte sich der ÖFB etwas einfallen lassen, um diese Kluft zu verringern.

 

Das spricht gegen den derzeit heiß diskutierten Direktaufstieg.

Der ist nicht das Allheilmittel. Damit sind die Probleme mit Fernseh-tauglichem Flutlicht, Sitzplätzen und den Angestellten nicht gelöst. Meiner Meinung nach müsste der Aufsteiger im ersten Jahr Zuschüsse und Vergünstigungen erhallten. Dann hast du ein Jahr Zeit, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Klappt es nicht, geht man wieder runter. Niemand will aufsteigen, um für den Verein Geld zu verdienen. Ist man oben, will man dort bleiben. Das Geld muss natürlich in den Ausbau des Stadions und das Umfeld investiert werden. Man kann sich nicht das Fernsehgeld holen und alles beim Alten lassen. Dagegen muss sich auch die Bundesliga schützen. Aber so eine Unterstützung würde eine Hilfe darstellen und die Qualität der Aufsteiger verbessern.

 

Ihr Vertrag geht bis zum Sommer. Haben Sie schon Ziele darüber hinaus, eventuell für den Kampf um den gerade besprochenen Aufstieg?

Ich will nicht absteigen und nächstes Jahr will ich eine Mannschaft, die um den Titel mitspielen kann. Das habe ich Norton und Präsident Udo Huber auch gesagt. Im Sommer müssen Schwachstellen ausgemerzt werden und Spieler holen, die die Qualität haben, um den Aufstieg mit zu spielen. Das müssen nicht acht sein, sondern drei Gute. Dazu müssen wir die Besten halten. Das habe ich klar deponiert. Das Ziel nächstes Jahr muss der Aufstieg sein.

 

Wir danken für das Gespräch!