Roland Kirchler: ‚Im österreichischen Fußball gibt es meistens eine Kompensation'

Kein Team der österreichischen Bundesligahat so wenig Siege wie Wacker Innsbruck. Im Interview mit 90minuten.at spricht Wacker-Trainer Roland Kirchler über Glück und Pech im Fußball, warum er denkt, dass die Admira eventuell die Punkte wieder zurückbekomm

 

90minuten.at: Wiener Neustadt war ein Schicksalsspiel für Sie. Können Sie uns eine Wasserstandsmeldung geben?
Roland Kirchler: Also das habe ich für mich selber so genannt, das kam nicht von den Fans oder Leuten rundherum. Wir wissen in Tirol, wo wir hingehören, von den Spielern her. Diese Negativserie mit zwölf Spielen ohne Sieg war aber auch nicht unbedingt unser Niveau. Die guten Spiele im Sommer waren ebenfalls nicht unbedingt unser positives Niveau. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Wir haben jetzt gezeigt, dass wir eine gute Mannschaft sein können, jetzt müssen wir schauen, dass wir diese Leistungen einmal über einen längeren Zeitraum bringen. Wir gehören ja zwischen Platz sechs und neun.

 

< blockquote>

 Ich kommuniziere offen. Was die Zeitungen dann schreiben, kann man nicht steuern. < /div>< /div>< /blockquote >

 

Sportdirektor gibt es keinen, das Trainingslager steht zur Diskussion – vielleicht auch ein Grund, dass sie das Vertrauen behalten haben. Schließlich hätte man Sie dann beurlauben müssen und einen neuen Coach auch bezahlen. Geduld aufgrund der bescheidenen wirtschaftlichen Möglichkeiten?
Da bin ich die falsche Ansprechperson, da muss der Präsident befragt werden. Ich habe nicht die Kompetenz zu deuten, was andere über mich denken.

 

Viele Spiele waren auch sehr knapp. Glück und Pech sind Instanzen im Fußball, ersteres muss ja irgendwann zurückkommen. Zwischen Tor und Stange sind oft nur Zentimeter, ein bisschen eine falsche Köperhaltung, eine Sekunde zu früh oder zu spät...
...oder wenn jemand in der 94. Minute ein Eigentor schießt. Oder zwei Elfer verschießt. Wir könnten also gut und gerne acht oder neun Punkte mehr haben. Dann wären das 21 oder 22 Punkte und der Roli Kirchler ist der Held in Tirol. Das war ja im Sommer so. Aber das ist das Trainer- und Fußballgeschäft. Ich kenne das seit 25 Jahren. Mich belastet das gar nicht. Ich kann nur jeden Tag hundert Prozent für den Verein geben – mehr kann ich nicht machen, für den Rest sind Präsident und Vorstand zuständig. Das sind die Gesetze des Fußballs, die jeder kennt, der so lange mit dabei ist. Das sind Fakten, da gibt es nicht viel zu spekulieren.

 

Der Kurier hat die Hereinnahme Alexander Gründler „vonseiten der Ehrentribüne als mögliche Verzweiflungstat" bezeichnet. Aber war das nicht ein logischer Zusammenhang zwischen Ihren taktischen Vorstellungen und der individuellen Qualitätsabrufung?
Na klar, aber das war keine Verzweiflungstat. Der hatte zuvor schon seine Kurzeinsätze, in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga West in einem halben Jahr zwölf Tor geschossen und im Training aufgezeigt. Das ist kein Zufall, dass ich ihn ausprobiert habe. Das System ist sehr wichtig, da gehört aber auch die Defensivarbeit dazu. Roman Wallner, den Gründler ersetzt hat, hat sicher auf lange Sicht mehr Torjägerqualität bewiesen, aber der Gründler macht mehr Sprints, mehr Laufarbeit und arbeitet viel defensiv. Er ist 20 Jahre alt, Wallner 31. Und wir sind ein Ausbildungsverein. Auch einen Lukas Hinterseer würde es nicht geben, wenn der Kirchler ihm einen Schreter oder Merino vorgezogen hätte. Obwohl jeder sich gefragt hat, warum er spielt – das war in der 30. Runde gegen Rapid, das weiß ich noch genau. Jetzt ist er Nationalspieler. Beim Hinterseer wurde ebenfalls ähnlich wie jetzt von einer Verzweiflungstat gesprochen. Oder bei Kofler oder Siller. Das sind alles Leute, die zuletzt sehr gute Leistungen gebracht haben. Wenn es negativ ausgeht, kommen solche „Bild-Schlagzeilen" und wenn es positiv ist, bist du der Held. Ich kann mit diesen Extremen in Österreich nichts anfangen. Man braucht einen kontinuierlichen Weg, den will ich gehen. Das ist eben der Weg der jungen Spieler.

 

„Österreich" hat die Rechnung für die Berichterstattung sowieso präsentiert bekommen. Sie fallen durch knackige Aussagen auf. Zoran Barisic sagte in der Sportzeitung, er mache das wohl auch, um sich vor die Mannschaft zu stellen. Könnten oder müssten Sie das gerade gesagt nicht eventuell trotzdem offensiver, auch vor dem Spiel, kommunizieren?
Das habe ich immer kommuniziert. Ich bin ja keiner, der nur knackige Sprüche macht, sondern einer, der immer ehrlich war. Ob in der Schule, bei meinen Freunden oder wie auch immer. Wer mich mag, wie ich bin, der mag mich eh, die anderen nicht. Ich habe damit kein Problem und sage das immer allen ehrlich. Wie am Beispiel Hinterseer, Siller oder Kuen. Als ich den Tomas Abraham als Kapitän auf die Bank gesetzt habe, hat sich auch jeder gefragt, was ich mache. Und jetzt meint jeder, dass er zu langsam ist und dass es super ist, dass ich das gesehen habe. Ich bin zu den Spielern ehrlich, das ist meine Ansicht von Führung. Er ist nach wie vor ein wichtiger Teil der Mannschaft und mein Kapitän, wenn er spielt. Aber jeder soll wissen, wo er steht. Und das will ich auch mit den Medien machen. Aber vielleicht bin ich oft auch zu ehrlich. Man kann dann jede Aussage positiv oder negativ auslegen. Es wird dann, wenn man zwölf Mal nicht gewinnt, immer ein Szenario hergestellt, dass der Trainer in der Schusslinie ist. Das ist logisch, der ist am Schluss dafür verantwortlich. Damit habe ich kein Problem. Wenn man 4:0 gewinnt, eine Siegesserie hat oder nicht absteigt, ist man dafür der Held. Das sind die Gesetze im Fußball. Ich kommuniziere offen. Was die Zeitungen dann schreiben, kann man nicht steuern.

 

< blockquote>

Wir haben letztes und dieses Jahr auch sehr viel richtig gemacht! Aber ich will das nicht als positiv hinstellen. Denn das ist die normale, tägliche Trainerarbeit. Da will ich mir keinen großen Orden verleihen.< /div>< /div>< /blockquote >

 

Und am Ende bleibt dann ein knackiger Satz über?
Das macht die Presse vielleicht so. Ich habe das immer gehasst, wenn diplomatische Sätze raus gelassen werden, dass wie bei Politikern um den heißen Brei herum geredet wird, aber jeder im Stadion weiß, wie es ist. Wenn ich aber sage, dass Wallner nicht mehr den Aufwand eines jungen betreibt, werden das viele Fußballexperten sehen und ich habe es dann gesagt. Und die Zeitung schreibt: „Schau, was der Roli Kirchler für ein wilder Hund ist, der haut den Gründler rein!" Aber stell dir vor, das hätte nicht geklappt. Dann wäre ich der große Sündenbock gewesen. Mit Roman Wallner haben wir zuvor aber zwölf Mal auch nicht gewonnen. Die Leute suchen Sensationsschlagzeilen und der richtige Realitätsjournalismus geht dann verloren: Was haben wir? Was können wir? Was können wir erreichen? Wie sieht die Situation aus? Ich bin kein Trainer, der Ausreden sucht, weiß um meine Verantwortung. Da will ich mich nicht vorher rechtfertigen, warum der Gründler spielt und nicht der Wallner.

 

Und was bedeutet es für Wacker, mit Lukas Hinterseer wieder einen Nationalspieler zu haben? Das Debüt war ansprechend.
Die Außendarstellung ist schon eine andere, wenn man einen Nationalspieler hat. Wenn man Neunter ist, letztes Jahr fast immer Zehnter war, dann fällt auf, dass bei uns in Tirol gut gearbeitet wird. Er ist körperlich fit, kann spielen und war vor einem Jahr noch bei der Vienna. Diese Geschichte ist ja für mich sowie so sehr skurril. Weil ich habe schon gesehen, dass er ein Potential hat und dieses auch ausgeschöpft hat. Bei der Vienna hat er links oder rechts im Mittelfeld gespielt, sogar als Rechtsverteidiger. Er ist aber kein Spieler für diese Position. Das habe ich erkannt. Das ist auch die Qualität des Trainers. Wir haben letztes und dieses Jahr auch sehr viel richtig gemacht! Aber ich will das nicht als positiv hinstellen. Denn das ist die normale, tägliche Trainerarbeit. Da will ich mir keinen großen Orden verleihen.

 

Aber gerade in der Situation ist das ein tolles Zeichen, oder?
Ja, ich habe auch am Dienstag mit ihm telefoniert und er ist mir dankbar. Er sagte: „Trainer, ich habe dir sehr viel zu verdanken, du hast auf mich gesetzt, mich auf die richtige Position gestellt. Du hast mir vertraut, auch im Winter, als es in der Vorbereitung nicht so gut geklappt hat." Ich habe ihm trotzdem die Chance gegeben. Er leistet so viel im Training und ist sehr positiv. Das Menschliche ist mir auch wichtig. Er trainiert auch bei minus 20 Grad gerne, reißt alle mit. Ich mag solche Spieler - und wenn er dann noch Qualität hat, weiß ich, dass er seinen Weg machen wird. Wenn er sich nicht schwer verletzt, gibt es keine Hindernisse.

 

Kommen wir noch zur Admira. Wie geht Innsbruck mit dem nach wie vor schwebenden Verfahren um? Noch dazu folgender Satz von Georg Pangl: „Sowohl die jüngsten sportlichen Erfolge von FC Admira Wacker Mödling - 6 Punkte aus den letzten 3 Spielen - als auch die Erfahrungen aus dem Vorjahr - 10-Punkterückstand von FC Wacker Innsbruck im Herbst 2012 auf den späteren Absteiger - lassen noch Spannung im Abstiegskampf erwarten. In den kommenden 21 Spielen werden noch 63 Punkte vergeben, womit der aktuelle 7-Punkterückstand durchaus aufholbar ist."
(lacht) Es ist die Wahrheit, aber er darf es nicht sagen. Wir haben ja wirklich viel auf Mattersburg aufgeholt. Die Gesamtsituation ist so, dass uns das nicht berührt. Wir wollen es sportlich schaffen. Ich finde, dass es für den Fußball eine komische Geschichte ist. Da sollen sie die Punkte gleich am Anfang oder am Ende der Saison abziehen. Für mich ist die Meisterschaft in alle Richtungen verfälscht. Nicht nur Wacker oder Admira, auch in Bezug auf Wiener Neustadt, den WAC oder sogar Sturm. Es sind ja nicht nur wir involviert. Alle Mannschaften sind dabei. Nach der Entscheidung hat die Admira 0:4 gegen Grödig verloren, weil sie vielleicht mit dem Kopf nicht mehr beim Fußball waren. Später war vielleicht wieder ein Wurschtigkeitsgefühl da und sie gewinnen auswärts in Graz und daheim gegen Salzburg, weil sie keinen Druck mehr haben. Im Großen und Ganzen ist die ganze Meisterschaft dadurch verzerrt. Das Schlimmste wäre, wenn das Ständig neutrale Schiedsgericht ihnen im März oder April die Punkte wieder zurückgibt. Die Liga hat sich keinen Gefallen getan. Aber sie haben sich im Senat 1 beraten, die Entscheidung gefällt. Das werden sie nicht umsonst gemacht haben. Man weiß nicht, wie das ausgeht. Das ist schlimm. Stell dir vor, im April kriegen sie die Punkte zurück und wir steigen ab. Das werden wir dann auch nicht auf uns sitzen lassen.

 

Rechnen Sie also mit einer Kirchler-Tabelle, in der die Admira die acht Punkte hat?
Das ist mir egal. Wir wollen in den direkten Duellen gewinnen, dann brauchen wir keine Tabelle, machen die nötigen Punkte. Wir wollen bis zum Winter schon zwölf oder 13 Punkte vor der Admira sein. Dann können sie die acht Punkte gerne wieder zurückbekommen. Im österreichischen Fußball gibt es ja meistens eine Kompensation, dass dann irgendwas wieder zurückgegeben wurde. Keine Ahnung, warum auch immer, aber es ist so. Ich will nicht am Ende der Saison absteigen, weil die Admira eine Woche davor die Punkte wieder bekommen hat. Wir wollen das Szenario ausschalten. Ganz ruhig sind wir doch nicht, was das alles betrifft.

 

Ist die Austria nun der dankbare Gegner, gegen den diese Punkte gesammelt werden, damit die Admira auch die volle Punktanzahl zurückbekommen kann?
Wir haben nun zuhause gewonnen und die Leute haben das honoriert. Außer gegen Red Bull Salzburg – so ein Umfaller gegen die Admira kann passieren, wird aber nicht mehr vorkommen, leider nicht gegen uns - kann Wacker zuhause und auswärts gegen jede Mannschaft gewinnen. So kurios das klingen mag. Auch Red Bull ist besiegbar, wie die Admira gezeigt hat. Egal, wer der Gegner ist, müssen wir unser Spiel durchziehen. Und wir wollen daheim gegen einen Großen gewinnen. Die Austria ist ein solcher und sie kommen uns ganz gelegen. Auch in Hütteldorf wollen wir drei Punkte machen. Die Punkte, die wir zu Beginn der Saison leichtfertig hergeschenkt haben, wollen wir uns zurückholen. Damit wir im Winter im Mittelfeld sind.

Wir danken für das Gespräch!