Richard Kitzbichler: ‚Video ist ein gemeinsames Medium, das jeder versteht‘
Videoanalyse ist in der Weiterentwicklung einer modernen Fußballmannschaft mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Bei Red Bull Salzburg ist Ex-Profi Richard Kitzbichler für diesen Bereich zuständig. Der ehemalige HSV-Legionär gibt 90miunuten.at Einblick in
90minuten.at: Während der Spiele von Red Bull Salzburg sitzen Sie mit einem IPad auf der Pressetribüne und drücken darauf herum. Welche Daten nehmen Sie auf?
Richard Kitzbichler: Beim Spiel mache ich Tracking. Ich setze Klicks, Schnittpunkte, was im Spiel passiert, die Ballkontakte und erfasse alle möglichen andere Daten: Chancen, Spielsituationen, Umschalten nach Ballverlust, Umschalten nach Ballgewinn, Spiel gegen den Ball. Alle möglichen Aspekte, die im Fußball vorkommen, codiert man gleich während der 90 Minuten mit. Dann erhält man eine Zeitachse und die kann man über das Video legen. So habe ich zum Beispiel die Zeile „Ecke" und gleich alle Ecken auf Knopfdruck zur Hand – gleich nach den 90 Minuten, wenn das Spiel aus ist. Das ist fertig und man kann eine Viertelstunde nach dem Spiel schon eine Analyse machen, wenn das der Trainer will.
Peter Hyballa machte ab und an bereits in der Pause Analysen. Ist das bei Salzburg auch der Fall?
Da haben wir vereinzelt schon Sachen gemacht, das ist aber problematisch. Ich muss zuerst von der Pressetribüne runter, dann muss alles angeschlossen werden, da ist eine Hektik da. Es können nur ganz markante Punkte sein, so macht es Sinn. Ansonsten ist in der Kabine keine Zeit, es ist wichtiger, dass der Trainer ein paar Dinge anspricht.
In der Bullen-Arena gibt es das Tracking-System mit den Kameras am Stadiondach?
Bei den Heimspielen nehmen wir die Daten mehr für die physischen Werte her, es ist für die Athletiktrainer interessant. Die sehen, wie viele Sprints gemacht werden, wie viel einer läuft. Natürlich kann man das Videobild hernehmen, da mache ich das Gleiche wie bei Auswärtsspielen. Wir haben aber mehr Kamerapositionen, etwa zwei fix installierte hinter dem Tor. Auswärts nehmen wir einfach die Bilder von Sky.
Wie läuft der Wissenstransfer ab? Bei der Austria macht die Analyse Co-Trainer Manfred Schmid, da ist das Weitergeben vielleicht einfacher, als wenn man „nur" Videoanalyst ist?
Er kann mehr am Platz machen. Ich bin aber eigentlich bei jedem Spiel und Training beim Trainerteam dabei. Ich schaue mir das Training an. Ein Co-Trainer hat aber natürlich auch noch andere Aufgaben. Und das Ganze ist schon auch sehr zeitintensiv. Das wird oft unterschätzt. Ich kann mich rein auf die Videoanalyse konzentrieren. Das ist ein Vorteil.
Technisch ist einiges weitergangen, seit Sie in den 1990ern Profi waren. Wie war das damals?
Früher ging es mit Videokassetten, als ich noch gespielt habe. Dann kamen die DVDs. Das Vor- und Zurückspulen und die Sachen zu suchen war mühsam. Das technische Knowhow war auch nicht immer bei jedem vorhanden. Es war im Endeffekt viel mühsamer. Und jetzt läuft eine Besprechung kurz und bündig ab, da ist die Aufmerksamkeit auch höher, weil ich die Szenen immer zu Hand habe.
Wie schlagen sich diese Daten im Gegensatz zur Analyse mit der VHS-Kasette nieder, wo ja auch nur das Live-Bild beurteilt werden konnte? Gehen Sie dann zu einem Spieler und sagen: „Du hattest zehn Sprints, der Durchschnitt lag bei 14. Lauf mehr!"?
Das ist die Entscheidung des Trainers. So etwas kann man machen, wenn es eklatante Unterschiede gibt. Oder es über einen längeren Zeitraum Unterschiede gibt; dann wird der Trainer schon etwas dazu sagen. Mit den statistischen Scoutingdaten und den Laufwerten hat der Spieler heutzutage keine Ausrede mehr. Früher hat er gesagt: „Das und das war anders." Jetzt hat man das Videobild und die Sprache fällt ein bisschen weg, wenn du mehr Spieler aus anderen Ländern hast. Da ist das Video ein gemeinsames Medium, das jeder versteht und niemand kann sich raus reden. Es gibt die Fakten und mit denen können viel bessere Entscheidungen getroffen werden. Früher hat man oft Entscheidungen nach dem Gefühl getroffen. So ist das auch für den Spieler verständlicher.
Haben Sie in Ihrer aktiven Zeit dem Trainer öfters widersprochen?
Beim Video selber gibt es auch noch verschiedene Meinungen. Wenn ich es gar nicht sehe, dann hat der die Meinung und ein anderer Spieler eine andere Meinung. Und keiner weiß es im Endeffekt richtig genau. Oder es war nicht genau im Bild. Das gibt es heutzutage nicht mehr.
Und ist der Aufwand, der hier betrieben wird, gerechtfertigt und notwendig?
Es geht nicht mehr ohne. Das mit dem Video ist extrem wichtig, weil es am anschaulichsten ist. Man sieht es und es ist erwiesen, dass man so viel mehr lernt, als wenn man es abliest. Es wird besser aufgenommen. Als wir international gespielt haben, habe ich mir angeschaut, wie das bei den anderen Vereinen ist. Das war extrem: Manchester City hat - glaube ich - sieben Leute, die nur das machen, was ich mache. Zwei, drei, die sich nur mit dem Gegner beschäftigen, zwei, die sich nur mit der eigenen Mannschaft beschäftigen, zwei bleiben noch für Videoscouting und Trainingsanalysen. Da kann man schon sehr ins Detail gehen. Wie die gesammelten Informationen verwendet werden, ist wieder eine andere Frage.
Leidet durch das pure Herzeigen nicht etwas die Kommunikation?
Die Sprache fällt durch das Video weg. Man muss nicht unbedingt die Sprache verstehen, damit einer weiß, was gemeint ist. Die Kommunikation die ist nach wie vor da. Wenn das übersetzt wird, kommt es trotzdem bei Erklärungen immer wieder zu Missverständnissen. Das Bild hebt das auf.
Kommen wir zu Ihrer Karriere: Sie haben am Ende Ihrer Karriere als „Leitwolf" mit den Juniors in der zweiten Leistungsstufe gespielt. Ist das Spielen in der Ersten Liga für die Leistungsentwicklung junger Spieler auch datengestützt besser?
Bei unserer zweiten Mannschaft wird das jetzt auch gemacht. Selber mitfilmen geht daheim gut, auswärts gibt es weniger Möglichkeiten. Natürlich wird das auch gemacht. Die Leistungsunterschiede zwischen Erster Liga und Regionalliga merkt man. Ich verstehe es bis heut nicht, dass die nicht mehr mitspielen dürfen. Die Argumente dagegen stimmen nicht und die Liga ist deutlich stärker als die Regionalliga, man ist jedes Spiel deutlich anders gefordert. Das würde sehr viel bringen.
Und dann gibt es immer die Frage nach dem „Wann gehören Spieler ins Ausland?" Sie waren zwei Mal selber im Ausland. Beim ersten Mal beim HSV, da blieben Sie nicht lange. Fragen Sie die jungen Spieler nach Ihrer Erfahrung?
Natürlich. Und die Erfahrung beim HSV möchte ich nicht missen. Das ist vom Umfeld her einer der Top fünf-Vereine in Deutschland. Wir hatten eine sehr gute Saison. Das ist eine andere Welt. Wenn man die Chance hat, dorthin zu gehen, muss man es auf jeden Fall machen. Sportlich und auch von der persönlichen Entwicklung her.
Sie waren am Ende noch in Australien. Die Welt zu sehen ist wohl auch eine Möglichkeit, die der Beruf „Profifußballer" mit sich bringt. Und es muss nicht immer die größte Liga der Welt sein?
Auf jeden Fall. Ich habe das Glück gehabt und auch geschaut, dass ich in eine schöne Stadt komme. Innsbruck, Salzburg, Wien, Hamburg, Melbourne – das war schon einmalig! Es ist ein großer Vorteil für einen Fußballprofi und heutzutage geht es noch viel leichter, als zu der Zeit, als ich jung war. Auch wenn man ein bisschen älter ist und nicht mehr nur das Sportliche zählt ist das auch einfach interessant.
Wir danken für das Gespräch!