Reiner Calmund: 'Alaba wäre Stammspieler in der deutschen Nationalmannschaft '

Am Samstag wird Reiner Calmund im PULS4-Studio ab 19:15 live seine Expertise für die österreichischen CL-Zuschauer abgeben. 90minuten.at stand er bereits ein paar Tage vorher Rede und Antwort. Calmund darüber, warum das rein deutsche Finale keine Wachablö

 

90minuten.at: Am Samstag kommt es zu einem rein deutschen Finale in der Champions-League. Gibt es aus Ihrer Sicht einen Favoriten?
Reiner Calmund: Beide Mannschaften haben ja bereits Erfahrung mit dem Gewinn der Champions League. Das Schöne ist, dass wir sicher sein können, dass es einen deutschen CL-Sieger geben wird. Das ist eine wunderbare Geschichte zum 50-jährigen Jubiläum der deutschen Bundesliga. Aufgrund der Spielweise in dieser Saison ist Bayern München für mich leichter Favorit, aber auch nur 60 zu 40 Prozent, in Toren wäre das ein knappes 3:2. Ich bin aber lang genug im Fußball tätig, um zu wissen, dass 60 Prozent Favoritenrolle nicht zwingend ausreichen, um am Ende mit dem Pott in der Hand da zustehen.

 

Über die gesamte Saison waren die Borussen nach Punkten chancenlos. Ist vielleicht nicht sogar das eine Endspiel eher die Chance für Dortmund?
Dortmund ist mit Sicherheit stark genug, das Finale gewinnen zu können. In den direkten Duellen in diesem Jahr war die Favoritenrolle auch nicht so eindeutig, wie es die Punkte in der Meisterschaft ausdrücken.

 

Viele Medien sprechen von einer internationalen Wachablöse. Wo sehen Sie den deutschen Fußball im Vergleich zu Spanien, England oder Italien?
Natürlich ist dieses Finale aus deutscher Sicht ein wunderbares Ergebnis – und am Ende zählen nur die Ergebnisse. Ich bin mir aber sicher, dass im kommenden Jahr Madrid oder Barcelona und auch die englischen Vereine wieder voll da sein werden. Italien hat sicherlich im Gegensatz zu Deutschland an Boden verloren. Die Top-3-Nationen sind eindeutig Spanien, England und Deutschland. Wie gesagt: das rein deutsche CL-Finale ist eine tolle Momentaufnahme, es bedeutet aber sicher noch keine Wachablöse.

 

Was hat Deutschland in den letzten Jahren getan, um jetzt dort zu sein wo man ist?
Wir haben uns im Jahr 2000, nach dem Debakel bei der Europameisterschaft in Holland und Belgien, konsequent auf neue Konzepte in der Nachwuchsarbeit fokussiert. Bundesligaklubs ohne Nachwuchsleistungszentrum bekamen keine Lizenz mehr für Bundesliga und Zweite Liga. Viele Millionen Euro wurden sinnvoll in die bauliche und personelle Infrastruktur, die medizinische Entwicklung und natürlich in die Erweiterung der qualifizierten Trainerstäbe gesteckt. So wurden Talente geformt, die jetzt auch im CL-Finale spielen.

 

david alaba lionel messi andreas schaadSicherlich hat auch David Alaba durch den starken Nachwuchs bei den Bayern profitiert. Wie viel deutsche und wie viel österreichische Entwicklungsarbeit steckt in Alaba?
Ich kann den genauen Werdegang von David Alaba, den er in Österreich genommen hat, aus der Entfernung nicht kommentieren und weiß daher nicht, wie sehr er wo gefordert und gefördert wurde. Ich weiß nur, dass der Nachwuchs auch in Österreich in den vergangenen Jahren ordentlich zugelegt hat. Was ich ebenfalls weiß: David hat sich in München noch einmal enorm nach vorne entwickelt. Aus einem Talent ist ein Spieler geworden, der zur internationalen Klasse gehört. Ich habe bereits vergangenes Jahr Alaba in meiner Zeitungskolumne in mein All-Star-Team gewählt - obwohl er nicht Meister geworden ist. Natürlich wäre er auch ohne Wenn und Aber Stammspieler in der deutschen Nationalmannschaft!

 

Wie kann sich Alaba jetzt noch verbessern? Trauen Sie ihm einen Wechsel zu einer anderen Spitzenmannschaft wie Barcelona, Real Madrid, Manchester United oder Chelsea zu?
Alaba spielt bereits bei der aktuell besten Mannschaft Europas. Vielleicht könnte er bei einem anderem Klub wie Chelsea oder ManchesterCcity mehr verdienen. Aber würde ihn das glücklich machen? Er muss jetzt seine Leistung auf höchstem Niveau stabilisieren und sich Stück für Stück verbessern. Er ist ein ziemlich perfekter Spieler mit Weltklassepotenzial. Er darf nicht durchdrehen wegen ein paar Euro. Aber David ist ein intelligenter, pfiffiger Junge, charakterlich in Ordnung, mit einem guten Umfeld. Wegen solcher Jungs hat sich Pep Guardiola für die Bayern entschieden, für keine andere Mannschaft. Also: Wieso sollte Alaba wechseln?

 

Wie beurteilen Sie das Niveau in Österreich? Kann Österreich international gesehen zu vergleichbaren Ländern aufholen oder verliert die Alpenrepublik an Boden?
reiner calmund 1 puls4Wenn ich mich recht erinnere, haben wir Deutschen bei der EM 2008 in Wien ganz schön gezittert gegen die österreichische Nationalelf. Wir hätten weitergezittert, wenn Ballack nicht diesen wunderbaren Freistoß geschossen hätte. Für mich hat Österreich damals nicht versagt, ein Weiterkommen war bis zum letzten Spieltag offen. In der WM-Qualifikation würde ich ihnen zwar gegen Deutschland nicht die Daumen drücken, aber es könnte schon klappen mit dem zweiten Platz. Hinter Skisport ist Fußball in Österreich auch eine beliebte Volkssportart, dazu braucht man Vorbilder. Es ist gar nicht schlimm, dass die besten Österreicher im Ausland spielen. Dadurch wird die Nationalmannschaft sicher nicht schlechter. Die müssten sich jetzt mal für ein großes Turnier qualifizieren. Die andere Frage ist der Klubfußball. Einer der Wiener Vereine, Rapid oder Austria, aber auch Salzburg, müsste international mehr Erfolg liefern. Didi Mateschitz etwa bekommt für sein Engagement in Österreich viel zu wenig zurück. Das ist total enttäuschend, was da rauskommt. Natürlich ist es im Fußball schwieriger als in der Formel 1. Aber was die Schweizer mit dem FC Basel können, könnten die Österreicher auch schaffen.

 

In den vergangenen Monaten haben auch deutsche „Konzepttrainer" (Schmidt, Hyballa) in Österreich versucht, Fuß zu fassen. Dies gelang ihnen bisher mehr schlecht als recht. Was zeichnet diese neue Trainergeneration aus?
Ich kann mit dem Wort Konzepttrainer, dass in letzter Zeit so in Mode gekommen ist, wenig anfangen. Gute Trainer oder gute Unternehmer brauchten für den Erfolg schon immer gute Konzepte und ein klare Strategie. Sehen Sie sich die beiden Endspieltrainer der CL-Final-Mannschaften an. Jupp Heynckes zählt zur alten Generationen und prägt jetzt den modernen Fußball. Er hat mit Real Madrid die Champions League gewonnen und steht jetzt im Finale mit dem FC Bayern. Heynckes hat sich aber auch enorm geändert. Er war früher misstrauisch, pedantisch, ein bisschen Detailverliebt und nicht so offen. Er ist jetzt mehr väterlicher Freund und Partner der Spieler geworden. Wärme, Zuneigung und Partnerschaft – all diese Themen, die den Spieler stark machen. Das ist wichtig. Wenn man das als erfahrener Trainer in Kombination mit knallharten Vorgaben zu Fitness, Disziplin und Spielordnung einbringen kann, hat man Erfolg.

 

Und Jürgen Klopp?
Auf der anderen Seite Jürgen Klopp: der ist vor fünf Jahren nach Dortmund gekommen, es war eine schwierige Zeit damals. Klopp hat verhältnismäßig junge Spieler bekommen und jeden einzelnen Spieler besser gemacht. Aber nicht nur die jungen Spieler, sondern auch schon erfahrene Spieler wie Piszczek und vor allem Torjäger Lewandowski. Die kannte vorher kaum einer, aus denen hat er internationale Topspieler gemacht. Lewandowski ist für mich sogar absolute Weltklasse. Das ist schon etwas anderes, als wenn man nur mit einem Computer rumläuft und analysiert. Klopp ist ein anderer Typ als Heynckes, der muss 20 Stars und Ich-AGs managen, die als Team funktionieren müssen.

 

Was haben beide gemeinsam?
Beide haben gemeinsam, dass sie menschlich einen guten Umgang mit ihren Spielern haben, aber knallhart im Geschäft sind. Ich war ein Freund und Bewunderer von eurem Max Merkel, doch die Zeit der Peitschenknaller ist endgültig vorbei. Ernst Happel, der mit dem HSV den Meisterpokal gewonnen hat, war auch ein eckiger, strenger und knallharter Typ. Viele Hamburger Spieler tuschelten damals: "Wer bei Happel trainiert, freut sich auf's Sterben!" Trotzdem war Happel auch einer freundschaftlicher und warmherziger Partner der Spieler.

Danke für das Interview!

Linktipp: CL-Finale: Puls4 überträgt aus vier Orten über vier Stunden