Michael Gspurning: ‚Ich bin keiner, der sich selbst ins Nationalteam reklamiert'

Der ehemalige Pasching-Ersatztorhüter Michael Gspurning zog 2007 aus, um im Ausland Erfolg zu haben. Nach fünf guten Jahren bei Xanthi in Griechenland und drei Länderspielen für Österreich hätte er zu einem ganz großen griechischen Klub wechseln können, e

 

90minuten.at: Die Amerikaner sind große Freunde der Statistiken und mit Ihnen hatten sie auch deshalb nach Ihrer ersten Saison richtig Freude: Drittbester Torhüter und Newcomer, drittbeste Torquote aller Zeiten. Haben Sie mit Ihrem Wechsel in die USA alles richtig gemacht?
Michael Gspurning: Nach Statistiken sind die Amerikaner wirklich verrückt, kürzlich sind sie draufgekommen, dass ich in einer sogar Nummer eins bin: Noch nie hatte ein Torhüter mehr Shootouts in seinen ersten 30 MLS-Spielen. Das freut mich natürlich, andererseits könnte man sagen: Man findet genug, wenn man lange genug sucht. (lacht) Aber nein, diese Zahlen und Fakten sprechen natürlich für mich. Und eigentlich war es ein perfektes erstes Jahr. Ich habe mir bei den Fans ein hohes Standing erarbeitet und auch die Klubführung war begeistert. Wir sind sogar bis ins Halbfinale gekommen. Dass wir diese Leistung nun heuer bestätigen wollen, steht außer Frage.

 

Für diese Ziele hat der Verein sich mit einem großen Namen verstärkt. Der Nigerianer Obafemi Martins ist Ihr neuer Teamkollege und nahm den Platz von Ex-Salzburg-Legionär Christian Tiffert ein. Warum dieser Tausch?
Der Verein hat wirklich investiert und wollte ein Zeichen setzen. In Seattle wurde bis auf die Verpflichtung von Freddie Ljungberg immer auf ein starkes Mannschaftsgefüge gesetzt. Weil die Los Angeles Galaxy aber mit Superstars wie Robbie Keane, Landon Donovan oder David Beckham so erfolgreich war, wollte man etwas Neues probieren. Martins war Anfang der Saison nicht fit, hat aber in seinen wenigen Einsätzen schon gezeigt, wie wertvoll er für uns werden kann. Für Tiffert ist es schade, er hat gut gespielt, aber es sind eben nur drei designated players pro Team erlaubt, die mehr verdienen als die Gehaltsobergrenze von 350.000 Dollar vorsieht. Dieser Regelung fiel er zum Opfer.

 

Ihr Zimmerkollege ist der ehemalige Liverpool-Spieler Djimi Traore – noch ein Beispiel für große Namen und damit auch für die Qualität, die die MLS bietet. Aber wie stark ist die Liga wirklich im Vergleich zu Österreich und Griechenland, wo Sie auch aktiv waren?
Ich glaube schon, dass die Liga besser ist als in Österreich. So große Namen würden nicht nach Österreich kommen, andererseits gibt es ein größeres Gefälle. Griechenland ist sowieso ein eigenes Thema. Als ich 2007 dorthin wechselte, war ich Teil einer Spitzenliga, nach der Finanzkrise spielen bei Xanthi heute jene Jugendspieler, die zu meiner Zeit im Kader bei Nummer 25 angefangen haben. Aber das tut dem griechischen Fußball sogar gut, weil der Nachwuchs forciert wird. Das beste Beispiel ist Juri Lodigin. Er ist ein guter Freund von mir und war zu meiner Zeit unser junger, aufstrebender dritter Torhüter. Er wurde Nummer 1, spielte sich ins griechische Team und wechselt jetzt für eine Million Euro zu Zenit St. Petersburg.

 

In der MLS spielt ein Klub dann mit, wenn er Rahmenbedingungen erfüllt. Wäre das nicht ein System für Österreich?
In Holland wird es ja ähnlich praktiziert. Es gibt sicher viele Vorteile. Eine ideale österreichische Liga hätte wahrscheinlich einen LASK, GAK oder unter Umständen Klubs wie Vorwärts Steyr oder Austria Salzburg in der Bundesliga. Aber vielleicht sollte man sich eher die Frage stellen, warum Mannschaften wie Grödig den Aufstieg schaffen und die eben genannten Traditionsvereine nicht. Ein Belohnungssystem ist außerdem immer in Ordnung und fair. Ried ist ferner das Paradebeispiel für einen Dorfklub, der funktioniert und von dem die Liga profitiert.

 

Man merkt, Sie verfolgen den österreichischen Fußball weiterhin intensiv. Am 26. März haben Sie über Österreichs Unentschieden in Irland getwittert. Interessieren Sie sich auch fürs Nationalteam?
Absolut, natürlich.

 

Sie haben selbst drei Mal für das ÖFB-Team gespielt, eine klare Nummer 1 gibt es dort derzeit nicht. Gab es jemals Kontakt zu Teamchef Marcel Koller?
Nein, gar keinen.

 

Stört es Sie, dass Ihre Leistungen in Österreich selten im Fokus der Öffentlichkeit stehen, weil Sie in Amerika spielen?
Eigentlich nicht. Als ich mich für Amerika entschieden habe, war mir klar, dass es schwierig wird fürs Nationalteam in Frage zu kommen.

 

Glauben Sie, dass Sie von Koller beobachtet werden? Und wenn ja, wären Sie interessiert?
Ich glaube nicht, dass er es tut. Und mit einem Wenn muss ich mich nicht beschäftigen. (lacht)

 

Es gibt Teamspieler, die gezielt an Ihrer eigenen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit arbeiten. Durch Lobbying bei Medien oder Social Media. Haben Sie darüber einmal nachgedacht?
Ich bin eher einer, der sich in einem Interview wieder aus dem Nationalteam rausredet und würde mich nie selbst ins Teamtor reklamieren. Mein Fokus liegt hier beim Klub. Ich bin vielleicht ein a-typischer Spieler, denn ich hab den Weg nach Griechenland nicht gescheut und auch das Abenteuer Amerika probiert. Ich wollte etwas Neues probieren. Die vielen positiven Dinge, die ich hier erlebe, geben mir recht. Nur ein kleines Beispiel: Meine kleine Tochter, die in Griechenland geboren ist, hat bei vielen Wörtern schon einen besseren englische Akzent als ich.

 

Wenn man an die Entwicklung der Liga denkt, haben Sie alles richtig gemacht. Im Vergleich zu Griechenland boomte die MLS in den vergangenen Jahren – vor allem dank David Beckham. Wie schlimm ist sein Rückzug?
Beckham war irrsinnig wichtig für die MLS. Allein die Regel für die designated players, die mehr verdienen dürfen, wurde nur für ihn in dieser Form eingeführt. Um ihr Potential in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren auszuschöpfen, braucht die Liga genau solche Namen. Vielleicht gehört sie dann irgendwann zu den besten Meisterschaften der Welt, es ist möglich. In Sachen Marketing und Merchandising ist die MLS schon heute vielen europäischen Ligen einiges voraus. Auch wenn dem amerikanischen Fußball natürlich immer die historisch gewachsene Kultur der europäischen Traditionsklubs fehlen wird.

 

Braucht Amerika den Fußball überhaupt auch noch bei all den traditionellen US-Sportarten, die so viel Publikum anziehen?
Fußball wird American Football nie den ersten Platz streitig machen und auch nie an Baseball rankommen, diese Sportarten sind ebenso wie Basketball und Eishockey zu tief in der Gesellschaft verwurzelt. Aber der Amerikaner liebt es zu Sportereignissen zu gehen, auch der Collegesport ist groß. Im Stadion sitzen sie mit der ganzen Familie und machen Stimmung. Es gibt keine Ausschreitungen, das ist der große Unterschied und das Wunderschöne am US-Sport. Und das zeigt auch, dass sicher Platz da ist für den Fußball.

 

Über amerikanische TV-Serien und -Filme wird uns der amerikanische Soccer ja schon lange näher gebracht – allerdings als Kinder- und vor allem Mädchensport.
Ja, diese weibliche Version des Football, weil der richtige Football für Mädchen zu hart ist. Aber ich sehe bei Kindercamps, dass immer mehr Buben das Spiel für sich entdecken. Damenfußball ist zum Teil richtig groß hier – die Euphorie um eine Hope Solo oder Alex Morgan ist beeindruckend. Und das sind hier richtige Stars mit Werbeeinnahmen, die ich auch sehr gern hätte. Wir Europäer stehen dem Damenfußball zum Teil zu negativ gegenüber.

 

Wenn wir schon bei Vorurteilen sind. Kennen sich die Amerikaner im Fußball aus?
Alle Amerikaner, die regelmäßig zum Fußball gehen, kennen sich aus. Die Geschichten gibt es nicht mehr, dass einer hingeht und nicht weiß, was Abseits ist. Und auch die Zeiten, in denen die Amerikaner gedacht haben, sie müssen das Spiel amerikanisieren mit Penalty-Shootouts wie beim Eishockey und neuen Abseitsregeln sind vorbei. Sie haben schon lange verstanden, dass dieses Produkt, so wie es ist, nicht umsonst auf der ganzen Welt so gut funktioniert.

 

Gerade in Seattle funktioniert es auch hervorragend. Warum?
Die Sounders gab es in der alten Profi-Liga schon einmal, das war sicher ein Mitgrund. Aber der Hauptgrund war wohl die Tatsache, dass mit den Super Sonics 2008 der Basketball-Franchise abgezogen wurde und auch die Mariners in der Major Baseball League nicht erfolgreich waren. Da war eine Lücke, die der Fußball ab 2009 schließen konnte. Die Sounders waren dann auch noch von Anfang an erfolgreich, hatten diese Siegermentalität, die der Amerikaner beim Sport braucht – allein durch drei Siege im US Open Cup. Außerdem gefällt den Leuten, dass wir Fußballer im Vergleich zu den anderen großen US-Sportarten bedeutend weniger verdienen. Bei unserer Obergrenze fangen die Gehälter in den anderen Ligen erst richtig an. Deswegen sind wir auch eher noch die natürlicheren, offeneren und ehrlicheren Sportler. Wir sind weit weg von abgehoben und zugänglicher.

 

Seattle ist die Stadt von Amazon, Starbucks, Boeing oder Microsoft. Wie positiv wirkt sich das auf den Klub aus?
Vor allem Microsoft ist dick im Geschäft und auch unser Hauptsponsor. Unsere Brust ziert das Xbox-Logo. Einer unserer vier Chefs ist außerdem der Co-Gründer von Microsoft, Paul Allen. Geld ist aber nicht nur in der Vereinsspitze, sondern auch in der Stadt allgegenwärtig. Der Klub profitiert natürlich davon, aber das macht die Stadt für mich als Bewohner auch teuer. Gleichzeitig ist allerdings auch die Lebensqualität hoch, was normal ist für eine Stadt, in der es viel Arbeit gibt. Viele Leute wollen hier leben.

 

Wie lange wollen Sie es noch?
Meine Familie und ich sind glücklich, alle fühlen sich wohl und mein Vertrag läuft noch bis Ende der Saison mit Option auf Verlängerung. Das Ziel ist sicher, länger hier zu bleiben, aber wir kennen ja den Fußball: Man weiß nie, was als nächstes passiert.

Danke für das Interview!