Roman Mählich: ‚Es ist kein Zufall, dass Marcel Koller lauter Legionäre aufs Spielfeld schickt'
ORF-Analytiker Roman Mählich galt in seiner aktiven Zeit als Wadelbeißer. Diese Eigenschaft hat sich nun in seine verbale Arbeit als Kommentator bzw. Analytiker verlagert. Im Gespräch mit 90minuten.at spricht der ehemalige Mittelfeldspieler über die Unter
90minuten.at: Seit kurzem trainieren Sie den SC Mannsdorf. Wie kam es dazu? Ist das ein logischer Schritt von Lasses in der zweiten in die erste Landesliga?
Roman Mählich: Sie hatten einen Trainer, der ist vor kurzem gefeuert worden. Man hat mich angerufen und wir haben uns relativ schnell geeinigt. Aber eigentlich wollte ich etwas im Nachwuchs machen. Die Leute, die ich darauf angesprochen habe, hatten entweder kein Interesse oder keinen Bedarf. Mannsdorf ist auf dem Niveau zwischen Amateur- und Profifußball eine gute Adresse.
"Es war für mich schon eigenartig, dass Paul Gludovatz, jahrelang im ÖFB mitverantwortlich, als sportlicher Leiter bei Sturm Graz keinen Österreicher holte. Das hat mich schon gewundert und war für mich ein Eingeständnis, eine Selbstkritik."
Ist das Trainieren unterklassiger Vereine für Trainer eine gute Lehre? Immerhin lernt man sich auch als Trainerpersönlichkeit selbst kennen, wenn man einiges ausprobieren kann, oder?
Es gibt genug Beispiele für alle Wege. Es gibt viele, die als Fußballer aufgehört haben und sofort als Trainer erfolgreich waren. Es gibt auch Trainer, die sich von weiter unten oder über den Nachwuchs rauf gearbeitet haben. Man kann das nicht pauschalisieren. Ivo Vastic war zuerst bei Waidhofen an der Ybbs, hat dann die Amateure trainiert und dann die Kampfmannschaft.
Wo sehen Sie die großen Unterschiede zwischen einem Landesliga- und einem Bundesligakicker? Sie waren Letzteres, trainieren Erstere. Was heißt das für Ihre jetztige Arbeit?
Der große Unterschied ist die Technik. Und weil die besser ist, ist auch das Tempo höher. Wir können in der Landesliga nicht so ein hohes Tempo gehen. Das sieht man auch beim Vergleich Bundesliga und Champions League. Es ist ja nicht das Körperliche ein Problem. Wir sind nicht langsamer, sondern wir sind technisch nicht so gut. Ein Spieler dort kann sich im Sprint den Ball mitnehmen, damit hadern wir ein bisschen. Genauso gibt es eine Relation zwischen Landesliga und Bundesliga. Und taktisch gibt es dadurch Unterschiede. Wenn ich einen Verteidiger habe, der mit dem Ball per Sie ist, dann wäre es dumm, wenn ich ihm sage: Biete dich an und spiele mit. In der Bundesliga kann ich das erwarten.
Müssen Sie also je weiter unten, desto motivierender Arbeiten und die Taktik steht nicht so im Vordergrund?
Sowohl als auch. Die Arbeit unterscheidet sich nicht großartig. Man muss halt bedenken, dass es für viele nicht der Beruf ist, die lernen für Prüfungen, gehen teilweise schwerer Arbeit nach und kommen mit Freude zum Training und nehmen sich die Zeit, am Wochenende weit weg zu fahren. Das muss man alles logischerweise berücksichtigen. Ein Bundesligaprofi macht ja nichts anderes. Aber alle sind mit Herz und Leidenschaft dabei. Das Prinzip Hire and Fire gilt aber unten wie oben. Wenn du aber Zeit kriegst, kannst du in zwei, drei Saisonen auch auf kleinerem Niveau schon etwas auf die Beine stellen. Das sind keine großen Sprünge, aber es geht. In Lassee war ich zweieinhalb Jahre und nach zwei Jahren konnte man mit freiem Auge einen eindeutigen Unterschied sehen können. Wenn du als Trainer Zeit kriegst, dann geht was weiter.
Kommen wir zu einem anderen Themenblock: Ihre 98er-Kollegen Schöttel und Stöger machen das Wiener Derby, Heimo Pfeifenberger ist in Wiener Neustadt und Didi Kühbauer coacht die Admira. Wer wird's 2018 am weitesten gebracht haben? Gibt es bald wieder mehr Trainerlegionäre?
Zunächst einmal: Ernst Happel war der einzig große Trainer, der lange im Ausland erfolgreich war. Und so richtig interessant waren österreichische Trainer noch nie, dass sie aus der Liga rausgerissen wurden. Es kommt stark drauf an, wie sich der Fußball in Österreich insgesamt verkauft. Wenn die Nationalmannschaft wieder zu einer WM oder EM fährt, werden auch die Trainer interessanter.
Hinkt man in der Trainerausbildung eventuell anderen Nationen stark hinterher?
Das ist möglich. Es war für mich schon eigenartig, dass Paul Gludovatz, jahrelang im ÖFB mitverantwortlich, als sportlicher Leiter bei Sturm Graz keinen Österreicher holte. Das hat mich schon gewundert und war für mich ein Eingeständnis, eine Selbstkritik. Mir persönlich ist das komplett wurscht, ob es einen kroatischen, schweizerischen oder österreichischen Trainer gibt. Aber es ist komisch. Wenn wir sagen, dass die deutsche Ausbildung gut ist, dann muss man auch sagen, dass es einige gibt, die große Probleme haben. Thomas von Heesen hat Riesenprobleme. Es kommt aber nicht nur auf den Trainer an, auch auf die Spieler.
Wo orten Sie Probleme beim Spielaufbau? Es wirkt wie ein österreichisches Schicksal, mit viel Ballbesitz wenig zu produzieren?
Es ist ja immer einfach, sich mit zwei Viererketten hinten aufzustellen. Das kann ja fast jede Mannschaft. Und jede Mannschaft macht hinten irgendwann einen Fehler, ein Mann steht schlecht, berechnet einen Ball falsch. Qualität heißt, dass Du diesen Fehler als angreifende Mannschaft ausnützen kannst. Das ist viel schwieriger zu trainieren. Da braucht man Spieler, die eins-gegen-eins-Situationen lösen können, die schnell sind, die eine hohe Passqualität haben.
"Wenn ich einen Verteidiger habe, der mit dem Ball per Sie ist, dann wäre es dumm, wenn ich ihm sage: Biete dich an und spiele mit. In der Bundesliga kann ich das erwarten." (Foto: Gepa Pictures)
Der Spielaufbau entsteht heute weit hinten, das zentrale Mittelfeld hat viele Aufgaben. Wären Sie heutzutage ein guter Sechser?
Es ist nun wieder schneller, als zu meiner Zeit. Der Unterschied ist, dass wir unter Ivica Osim noch mit einem Libero gespielt haben, das verändert Einiges. Jetzt gibt es zwei Innenverteidiger, die immer im Prinzip auf der Höhe der Außenverteidiger stehen. Die Frage ist schwer zu beantworten. Aber eines kann ich sagen: Spieler wie Didi Kühbauer mit seinen Antreiberqualitäten, Peter Stöger mit seiner Dynamik, solche sehe ich in Österreich nicht. Die Besten spielen im Ausland. Aber wir haben ja jahrelang gesudert, dass wir keine Legionäre haben. Es ist ja kein Zufall, dass Marcel Koller lauter Legionäre auf das Feld schickt.
Ist es um solche Typen schade?
Diese „Typen" haben wir nicht und ich weiß nicht, ob es sie überhaupt noch gibt. Ich habe neulich ein interessantes Interview mit einem deutschen Sportsoziologen gelesen, der meinte, dass sich die Erziehung verändert hat. Diese Autorität wie vor 30 Jahren gibt es in der Familie nicht mehr. Wir sind alle viel toleranter. Aber das ist natürlich kein Problem. Auch die Deutschen hadern damit. Es wird alles aufs Kollektiv verteilt. Matthias Sammer sagt, dass er diese Alphatiere braucht.
"Ich rede zehn Minuten mit einem Spieler, den ich nicht kenne und weiß, dass er aus einer Akademie ist. Dort wird nicht schlecht gearbeitet, aber man erkennt diese Spieler."
So etwas kommt immer dann, wenn es grade nicht läuft ...
Klar, wenn du gerade einen Lauf hast, wie die Bayern gerade in der Meisterschaft, dann ist es wurscht. Aber bei Spielen auf Augenhöhe oder wenn es schlecht läuft, dann braucht man sie. Und welcher Deutsche fährt denn dazwischen? Auch bei Barcelona würde mir nur Carles Puyol einfallen. Ich sehe diese Art von Fußballer generell nicht mehr. Jeder Trainer wünscht sich so einen Spieler, nur kann man sie nicht zusammenbauen. Wahrscheinlich gibt es sie nicht mehr. Man kann stundenlang darüber diskutieren, auch über die Ausbildung in den Akademien. Ich rede zehn Minuten mit einem Spieler, den ich nicht kenne und weiß, dass er aus einer Akademie ist. Dort wird nicht schlecht gearbeitet, aber man erkennt diese Spieler.
Es wird einen Grund geben, warum geniale Spieler gleichsam auch in der Jugend schwierige Kicker waren, wie etwa Marko Arnautovic.
Prinzipiell ja, aber er ist wohl wirklich extrem schwer zu behandeln gewesen. Aber er ist auch nicht einer, den ich als Führungsspieler bezeichnen würde. Er hat eine super Qualität, manchmal spielt er sie aus, manchmal nicht.
Seit drei Jahren arbeiten Sie beim ORF als Analytiker. Hatten Sie eigentlich damals ein konkretes Vorbild, wie Sie Ihre Rolle auslegen wollen?
Ein richtiges Vorbild hatte ich nicht, Günther Netzer und Gerhard Delling haben mir aber gefallen – aber gut, wem nicht? Ich versuche nicht, irgendwen zu kopieren, muss mich selber einschätzen. Ich habe nicht den großen Namen, wie ihn die Analytiker der Konkurrenz haben. Das muss man neidlos anerkennen. Für österreichische Verhältnisse war ich erfolgreich, aber hatte nicht die ganz große Karriere mit 50 oder 60 Länderspielen. Ich muss anders punkten und fachlich ist das bei mir absolut ok. Da bin ich ohne Arroganz von mir überzeugt.
"Wenn ich mir Kollegen anschaue, dann ist es zach, wenn er das offensichltiche beschreibt."
Was muss der Experte eigentlich können? Den Schmährbruder geben, Taktikanalysen en detail erklären oder wie müssen Sie arbeiten?
Die Kunst ist, ein Mittelding zu schaffen. Wenn ich mir Kollegen anschaue, dann ist es zach, wenn er das Offensichltiche beschreibt. Wenn es aber ein taktisches Fehlverhalten in der Verteidigung gegeben hat, dann bin ich der Meinung, dass man das aufzeigen muss. Aber es gibt wiederum Zuschauer, die sich darüber freuen, wenn einer einen Schmäh raushaut. Ich als Fußballverrückter freue mich, wenn mir ein Analytiker Dinge zeigt, die ich selbst nicht so gesehen habe.
Der ZDF unterhält mit einem Taktikticker der Kollegen von Spielverlagerung.de, Puls4 liest Facebook-Comments vor. Müsste der ORF nicht eher in die Richtung des ZDF gehen?
Das Problem, dass wir beim ORF haben, ist die Zeit. Ich kriege das auch mit, dass sich Zuschauer aufregen. Wir haben nicht die Sendezeit, um die ganz interessanten Szenen heraus zu nehmen und drei, vier Minuten drüber zu diskutieren.
Aber es wäre wünschenswert?
Das wäre perfekt für mich. Aber, und das muss man so sagen, wir haben die Möglichkeiten nicht. Und manchmal gibt es Spiele, die zwischen Formel 1 und Skirennen stattfinden. Da ist wirklich nicht viel Zeit, warum der jetzt spielt und der nicht.
Der ORF zahlt ja genug für die Rechte. Da müsste man doch mehr Professionalität erwarten können, oder?
Sofort, wenn es nach mir geht. Es scheitert an der Sendezeit und dem Finanziellen, was ich so mitbekomme. Wenn ich mir die Spieltaganalyse am Montag auf Sport1 anschaue, dann denke ich nur: Herrlich. Aber ich weiß auch, wie die funktioniert. Es ist nicht so, dass dort nur Thomas Helmer steht, da gibt es 20 Mitarbeiter, die am Freitagabend anfangen, die Spiele zu analysieren. Wir sind immer live und unter Zeitdruck. Ich denke, wir tun unser Bestes, aber es ist nicht optimal. Ich sehe Verbesserungspotential und die Verantwortlichen auch.
Mählich über die Arbeit beim ORF: "Ich denke, wir tun unser Bestes, aber es ist nicht optimal. Ich sehe Verbesserungspotential und die Verantwortlichen auch." (Foto: Gepa Pictures)
Generell noch mal zum Kommentieren. Was muss ein Kommentator während des Spiels tun? Dinge erklären, Geschichten erzählen, fundiert analysieren?
Eine gute Mischung muss es sein. Grundsätzlich glaube ich, dass es sauschwer ist, ein Fußballspiel zu kommentieren. Vor allem, wenn gar nichts passiert. Wenn es dann langweilig wird, dann kann er Geschichten erzählen, aber dann sagen wieder manche, dass er zu viel redet. Oder er könnte sich zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn er taktisch analysiert. Die meisten sind fußball begeistert und rethorisch sehr gut, aber es ist ein Unterschied zum echten Experten-Dasein.
Und zu zweit ist es besser?
Wir haben das ausprobiert und ich weiß nicht, wie der ORF weiter tun will. Aber Experten wiederum haben keine Ausbildung in der Berichterstattung. Das ist auch schwierig. Ich hatte einen Medienberater und mache Stimmtraining, weil ich will mich verbessern. Es hilft nämlich der beste Experte nichts, wenn er seine Gedanken nicht so rüber bringen kann, dass es der Zuschauer versteht.
Bringt eine interessantere und tiefer gehende Berichterstattung aber auch dem Fußball etwas?
Dann wird der Fußball auch wieder für Sponsoren interessanter, wenn es mehr Aufmerksamkeit gibt. Wir haben jetzt zwar eine Sendung am Samstag, aber da haben wir 20 Minuten Zeit für vier Spiele.
Wie würden Sie am liebsten einen Sonntagnachmittag mit dem Wiener Derby aufbereiten?
Einmal eine Stunde Vorberichterstattung. Die letzten Derbys beleuchten, die Formkurven der Teams, auf die Rolle einzelner Spieler im System eingehen, was die Schlüsselduelle sein werden. Dann hätte ich gerne einen Computer, mit dem ich gut vorbereitet zeigen kann, wo die Austria die Stärken hat, von wo Rapid die Tore schießt, wo gibt es defensive Probleme. Da könnte man tolle Animationen machen, damit man es sieht, noch ein paar Interviews. Das wäre großartig. Mir taugt es auch, wenn man Bilder vom Training hat und Interviews. Eine Stunde davor, eine danach für Analysen und dann könnte man auch mit mehreren Experten ein Gespräch entwickeln lassen.
Wir danken für das Gespräch!
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