Roland Kirchler: 'Taktiksysteme sind wirklich überbewertet'

Taktiksysteme sind überbewertet? Ja, sagt Roland Kirchler. Das unter der Woche erlernte Konzept muss von den Spielern in Eigenverantwortung umgesetzt werden. Er selbt sieht sich mehr in der Position eines Psychologen. Im Gespräch mit 90minuten.at redet er

Roland_Kirchler_wacker_innsbruckTaktiksysteme sind überbewertet? Ja, sagt Roland Kirchler. Das unter der Woche erlernte Konzept muss von den Spielern in Eigenverantwortung umgesetzt werden. Er selbt sieht sich mehr in der Position eines Psychologen. Im Gespräch mit 90minuten.at redet er über die Stabilisierung des FC Wacker Innsbruck und welchen Anteil Vorgänger Walter Kogler daran hat, seine Philosophie und nimmt Stellung zur Trainersituation in Österreich. Darüber hinaus erklärt er, wie für ihn, den ehemaligen Offensivspieler, das perfekte Tor aussieht.

Das Interview führte Georg Sander


90minuten.at: Wie erklären Sie sich den gegenwärtigen Lauf Ihrer Mannschaft, die Spiele gegen die Titelfavoriten mal ausgenommen?

Roland Kirchler: Es gibt mehrere Gründe. Wir haben, wie Walter Kogler wohl auch, am Platz gut trainiert. Meine Aufgabe war, die Köpfe nach der schlechten Serie frei zu bekommen und dass die Mannschaft wieder an sich glaubt, jeder mehr Selbstvertrauen hat und das auch am Platz zeigt. Da musste viel kommuniziert werden, in Einzelgesprächen und mit der Mannschaft am Platz. Das habe ich gemacht und Gott sei Dank ist von dieser Arbeit auch etwas zurückgekommen.

 

 


'Ich gebe zwar schon ein Konzept vor, denn die Spieler können nicht alles selber machen, das wird die ganze Woche besprochen. Am Spieltag selbst ist man dann nur Zuschauer.'

 


Vor der Saison glaubten die wenigsten Experten, dass Wacker nach elf Spieltagen nur drei Punkte haben würde. Wie haben Sie das eingeschätzt?

Das denkt sich jeder Trainer. Ich habe das oft beobachtet und die Mannschaft hat sicherlich Qualität, allerdings nicht so viel, um um die vorderen Plätze mitzuspielen. Das muss man genau einschätzen. Wir haben eine tolle Mannschaft, die mit Teams wie Mattersburg, Ried und Admira mithalten können. Im Bereich um Platz fünf können wir uns realistisch befinden. Mit dem oberen Bereich, so ehrlich muss man sein, haben wir nichts zu tun.


Sie sagten, Sie hätten die Köpfe der Spieler frei gemacht. Waren die Ideen Walter Koglers nach über vier Jahren vielleicht etwas abgenutzt?

Das kann ich nicht einschätzen. Man hat viel gehört und das will ich nicht beurteilen. Fakt ist, dass es vorkommt, dass wenn man länger Trainer ist, sich die Arbeit etwas abnützt. Da muss man immer wieder neue Impulse setzen und vor allem mit den Spielern reden, damit sich jeder wichtig fühlt. Auch die Ersatzspieler und die Kadernummer 20. Wenn die auch das Gefühl haben, gebraucht zu werden, ist das ein ganz ein anderes Miteinander. Das ist meine Philosophie, andere Trainer haben andere. Jeder muss seine finden.


Auch wenn der Zeitpunkt für einen Wechsel auf der Betreuerbank mit der Länderspielpause damals gut gewählt war – wie viel Kogler steckt in diesem Team, wie viel Kirchler?

Walter Kogler hat hervorragende Arbeit geleistet, das habe ich immer schon gesagt. Ich habe meinen Weg, die Mannschaft ist topfit, in einem super Zustand. Der Co-Trainer ist auch gleich geblieben. Ich habe aber meine Art der Trainerarbeit und Walter Kogler seine. Ich arbeite mit seiner Mannschaft und versuche, das Beste daraus zu machen. In der Wintervorbereitung kann ich versuchen, noch mehr als jetzt meine Philosophie rein zu bringen.


Haben Sie vor, im Kader Veränderungen vorzunehmen?

Klar, weil jeder Trainer seine Spieler hat. Ich brauche einen schnellen Außenbahnspieler, einen guten Rechtsverteidiger, ich brauche einen Spieler hinter den Spitzen, der in die Räume geht – jeder Trainer hat seine Ideen und so werde auch ich meine Wunschkandidaten äußern. Aber es ist auch nicht so viel Geld vorhanden wie bei anderen Vereinen, dass man zwei, drei Spieler holen kann. Es hat jeder im Kader die Chance, sich im Winter zu beweisen.


Kommen wir konkret auf Ihre Trainerphilosophie zu sprechen. Wie beschreiben Sie diese, wie stellen Sie sich Fußball vor?

Das ist nicht in einem Satz erklärt, da könnte man zwei Stunden philosophieren. Es geht im Fußball immer ums Gleiche, keiner hat den Fußball neu erfunden. Es geht darum, Räume eng zu machen, um schnelles Umschalten, um Kompaktheit, um Blockbildung, darum, Torchancen herauszuspielen und zu verwerten, um Selbstvertrauen. Jeder Spieler, der mit Selbstvertrauen in ein Spiel geht, macht dann alles richtig. Die Kommunikation und das Zwischenmenschliche zwischen Spieler und Trainer ist für mich auch sehr wichtig. Man muss offen und ehrlich mit den Stammspielern und dem Kader umgehen, damit jeder mit Freude bei der Arbeit ist. Im taktischen Bereich kann keiner den Fußball neu erfinden.

 

 


'Ich würde den Vereinen raten, auf junge, österreichische Trainer zurückzugreifen.'

 


Halten Sie Taktik für überbewertet, wie Heimo Pfeifenberger neulich sagte?

So sehe ich das auch. Es gibt 4-4-2, 4-2-3-1, 4-3-3 – Systeme sind wirklich überbewertet. Wichtig ist, dass in der Defensive die Räume besetzt sind, dass jeder seine Aufgabe macht und die Passwege zustellt, damit die Gegner nicht so leicht durchspielen können. Für mich werden die Systeme überbewertet. Da gebe ich dem Heimo recht.


Das Taktikthema ist medial nicht zuletzt seit der Constantini-Ära präsent. Den Spielern wird also viel Verantwortung übertragen?

Genau so ist es. Ich gebe zwar schon ein Konzept vor, denn die Spieler können nicht alles selber machen, das wird die ganze Woche besprochen. Am Spieltag selbst ist man dann nur Zuschauer. Der Spieler muss die Eigenverantwortung haben, das, was unter der Woche trainiert wird, umzusetzen.


Wie sieht Ihr perfektes Tor aus?

Jedes Tor ist für mich perfekt.

 

Einige Vereine setzen auf deutsche Trainer. Klopp und Tuchel sind die Vorbilder – ist das ein einfach gerade ein Trend oder ist die Orientierung an Deutschland richtig?

Ich kommentiere die deutschen Trainer in Österreich nicht. Aber ich kann sagen, dass es sehr viele gute österreichische Trainer gibt. Es gibt viele, die keinen Job haben, aber sehr viel Ahnung vom Trainerjob haben. Ich würde den Vereinen raten, auf junge, österreichische Trainer zurückzugreifen. Die neue, junge Trainergeneration bringt sehr viel Kompetenz und Fachwissen mit, auch moderne Methoden und Psychologie.


Fühlen Sie sich durch die Trainerausbildung in Österreich bestens gerüstet für diesen Job?

Ich habe Einiges gelernt. Ein paar Module hätte man vielleicht etwas anders gestalten können. Ich bin aber nicht derjenige, der das neu erfinden will oder das neue Konzept für die Bundesligatrainer hat. Ich habe viel Neues gelernt und nun wurde sie fast um das Doppelte erhöht. Mit Thomas Janeschitz ist ein sehr kompetenter Mensch verantwortlich, der vor nicht allzu langer Zeit noch gespielt hat. Er ist ein sehr offener Mensch, offen für neue Methoden und ich möchte es mir nicht herausnehmen, darüber zu schimpfen. Ich bin sehr dankbar, dass ich dabei war. Man kann aber immer alles besser machen. Ein Trainer darf nicht stehen bleiben, muss sich immer weiter entwickeln und so ist das bei der Trainerausbildung auch.


Vor dem Engagement waren Sie mit Wattens sehr erfolgreich. Ist der Weg über die höchste Amateurklasse ein guter Weg für einen Trainer, um ohne Riesendruck zu lernen?

Das hat immer zwei Seiten. Einerseits ist das Niveau in der Regionalliga nicht so schlecht, wie viele glauben. Andererseits ist die Trainingsmöglichkeit bei Amateuren irgendwo begrenzt. Es gehen alle arbeiten und können sich nicht so regenerieren, Krafteinheiten machen oder taktisch und individuell arbeiten. In Profivereinen ist der körperliche Bereich 20 bis 30 Prozent besser ausgebildet als in der Regionalliga. Meiner Meinung nach haben Amateurmannschaften im Profibereich nichts zu suchen, das sollte alles auf Profibetrieb umgestellt werden.


Bis in die Regionalliga runter?

Auch in Wattens habe ich immer gesagt, dass Profi- oder Halbprofistrukturen eingerichtet werden sollen, denn ansonsten ist der Sprung in die Heute für Morgen-Erste Liga zu groß.


Was erwarten Sie sich von dieser Saison noch, abgesehen von den Spielen gegen die Austria und Red Bull Salzburg?

Wir wollen nicht absteigen. Ich bin in einer fast ausweglosen Situation angetreten und haben das innerhalb von ein paar Wochen korrigiert. Wir wollen uns Richtung Mittelfeld orientieren, auch wenn das sehr viel Arbeit ist. Wir müssen schauen, dass wir bis zum Winter noch viele Punkte sammeln und im Frühjahr schauen, dass wir weiter nach oben kommen.


Wo könnte der FC Wacker nach drei Jahren mit Ihnen als Trainer stehen?

Da wäre ich der liebe Gott, wenn ich das wüsste. Fußball ist ein sehr kurzlebiges Geschäft. Das betrifft den Trainer und das Finanzielle, Sponsoren und die Infrastruktur. Das hängt mit der Wirtschaftslage zusammen, man weiß ja nie, ob es immer genug Geld gibt, um Profifußball zu betreiben. Wir werden alle unser Bestes geben, aber was sein wird, kann kein Mensch bestimmen.


Wir danken für das Gespräch!

 

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