Paul Gludovatz: 'Der Pogerl dreht sich jetzt noch im Kreis, wenn er an Quaresma denkt'
Mit 66 Jahren fängt das Leben an – Paul Gludovatz startet in Hartberg nochmals durch, als steirischer Felix Magath. Er will den Verein auf eine neue Stufe bringen. Im 90minuten.at-Interview philosophiert er über die Vor- und Nachteile der Dreierkette ohne
Mit 66 Jahren fängt das Leben an – Paul Gludovatz startet in Hartberg nochmals durch, als steirischer Felix Magath. Er will den Verein auf eine neue Stufe bringen. Im 90minuten.at-Interview philosophiert er über die Vor- und Nachteile der Dreierkette ohne Libero, das Gerüst der Nationalmannschaft und darüber, dass er genauso handeln würde wie Marcel Koller. Nach einem Vierteljahrhundert als Nachwuchscoach sagt er: „Ich verfolge alle Karrieren, aber es kann ja nicht jeder schaffen. Viele schaffen es."
Das Gespräch führte Georg Sander
Gludovatz: "Entscheidend wird sein, dass wir einen Polster haben und uns entwickeln können." (Foto: Gerald Gossmann)
90minuten.at: Wie kam es dazu, dass Sie den TSV Hartberg übernommen haben?
Beide Trainer sind berufstätig und die gesamte Zeitstruktur hat sich an den beiden orientiert und nicht an dem, was Spieler brauchen. Für mich selbst war es überraschend, ich habe auf die Frage „Kannst du dir es vorstellen?" vielleicht vorschnell „Ja!" geantwortet. Und dann begann das Rädchen zu laufen und von Sonntag halb neun Abends bis Montagmittag war alles unter Dach und Fach.
Es war also eine Bauchentscheidung. Spielte die geographische Nähe zur Heimat eine Rolle?
Mit Sicherheit war die räumliche Nähe nicht primär ausschlaggebend. Ich habe ein bisschen eine Unruhe verspürt und wollte arbeiten, unabhängig von der Klasse. Hier in Hartberg etwas zu bewegen ist sicherlich recht interessant. Mit jungen Spielern zu arbeiten, ein professionelleres Umfeld zu schaffen, die Mannschaft zu entwickeln und dem Verein eine Richtung zu geben – ich will ein deutliches Zeichen setzen.
Was denken Sie ist in Hartberg diese und in den kommenden Saisonen möglich?
Das ist sportlich nicht absehbar und die gerade erwähnten Ziele stehen weit über dem, was mit dem Ranking und Resultaten zusammenhängt. Naturgemäß wird es schwer und eine Herausforderung, im Überlebenskampf zu sein und das sind wir das dritte Jahr. Entscheidend wird sein, dass wir einen Polster haben und uns entwickeln können.
Der TSV Hartberg war in den Schlagzeilen wegen des niedrigen Budgets, leistete sich aber Kicker a la Andreas Dober. Sie sollen das Profil schärfen?
Für uns ist die Tatsache gegeben, mit wesentlich weniger, als ich gedacht habe, gleich viel zu erreichen wie andere. Kapfenberg steht von den Möglichkeiten weit über uns, andere haben auch viel investiert. Das zu erreichen ist ein erklärtes Ziel und diesem möchte ich nahe kommen. Das hat in der ersten Woche begonnen, da habe ich den einen oder anderen Funktionär und Spieler überfordert. Da muss ich wohl ein bisschen vorsichtiger sein.
Was ist dieses Ziel, welches es zu erreichen gibt?
Es geht nicht darum, etwas aufzubauen. Wir wollen nicht in Abstiegsgefahr kommen und eine lokale Größe werden. Ich sage nicht einmal regional, sondern lokal. Das Umfeld ist in Ordnung, wir können wachstumstechnisch einen Mehrwert erzielen. Der gesamte Bogen meiner Arbeit spannt sich von der präsidialen Ebene bis zur U17. Ob das mit dem geringen Budget alles möglich ist, weiß ich nicht. Aber versuchen muss man es!
Sie sind also der Hartberger Felix Magath, was Ihre Kompetenzen betrifft?
(lacht) Ich muss da aufpassen, der ist mit Wolfsburg an letzter Stelle (Anm. d. Redaktion: Das Interview wurde vor der Entlassung von Felix Magath geführt). Das ist von der Qualität her unerreichbar, aber ich konnte auch bei Ried vorausschauend arbeiten. Ich weiß nicht, ob das hier gelingen kann. Wenn du stabil im Mittelfeld bist, dann kannst du ein halbes Jahr vorausschauen.
Stefan Reiter erörterte, dass das 3-3-3-1 aus der Not an adäquaten Verteidigern heraus geboren war, man stellte auf 4-2-3-1 um und es lief nicht ganz so gut. Wie würden Sie nun vorgehen, wenn Sie beide Möglichkeiten offen hätten?
Das ist keine hypothetische Frage, das orientiert sich an der Qualität der Spieler, die zur Verfügung stehen. Ich bekomme jetzt noch Probleme mit Kollegen, die in der Trainerausbildung nie etwas vom 3-3-3-1 gehört haben: „Paul, warum hast du das nicht vorher gewusst?" Das ist mir aber nie eingefallen und es geschah in Anlehnung an das Niveau der Spieler. Wenn es in Hartberg nun auch so sein wird, werde ich auch hier eine Dreierkette spielen.
Wo sehen Sie konkret die Vorteile einer Dreier- beziehungsweise Viererkette?
Ich möchte etwas ausholen. Mit dem Jahrgang 1983, zum Beispiel Emanuel Pogatetz, haben wir international das erste Mal mit Viererkette gespielt. Mit diesem Phänomen mussten wir uns sehr plagen, weil wir es in Österreich nicht hatten. Es gab in Salzburg einen dänischen Trainer, der uns das lehren wollte. Das kann man nicht aus Büchern lernen, das mit Spielern zu lernen ist eine Herausforderung. Aber die Dreierkette ist nicht nur für die Defensive gut, sondern vor allem für die Offensive. Es gibt einen Mittelfeldmann mehr. Mir hat dann mit vier Verteidigern der eine oder andere Stürmer gefehlt, der über links in den Strafraum kam, wenn wir über rechts angegriffen haben. Ich will ja drei, vier Spieler in den Strafraum bringen. Es ist eine Herausforderung, etwas anderes zu tun. Mit der U16 haben wir gegen Portugal gespielt und der Pogerl dreht sich jetzt noch im Kreis, wenn er an Quaresma denkt, wir haben mit Viererkette 3:0 verloren. Das war in Ried auch so, mit einem neuen System zu arbeiten. Neue Pass- und Laufwege zu erarbeiten ist eine Challenge pur.
Und gab beziehungsweise gibt es Probleme bei der Erarbeitung einer Dreierkette, im Nachwuchs wird ja die Viererkette gelehrt?
Natürlich gab es die. Alles hat Vor- und Nachteile. Der Tormann jammerte schon, die Spieler fragten, ob wir mit Libero spielen würden. Der zentrale Spieler muss auch rausrücken und Oliver Glasner hat sich als dieser Spieler in die Angriffe eingeschalten. Ich habe gesehen, dass das etwas wird, aber es ging auch nicht von heute auf morgen. Das würde in Hartberg nicht Wochen und Monate dauern, sondern ein, zwei Jahre. Die Spieler haben ab der U15 die Viererkette intus.
Kommen wir zu Ihnen persönlich: Im Nationalteam bilden Sebastian Prödl, Veli Kavlak, Zlatko Junuzovic und Martin Harnik ein Gerüst, bringen auch bei ihren Vereinen Topleistungen. Wie stolz sind Sie, da der Wegbegründer gewesen zu sein?
Naja, ich habe 1983 bis 1991 mit gesichtet, 1987 war der Kanada-Jahrgang. Das Gerüst ist nicht verwunderlich, wenn man 25 Jahre beim ÖFB war! Stolz kenne ich aber nicht, genauso wenig Eitelkeit. Wer mich jetzt hier sieht, der weiß, dass ich eben einfach gestrickt bin. Ich habe einen Beitrag liefern wollen, dass es besser wird.
Wie stehen Sie zu Teamchef Marcel Koller, macht er alles richtig? Sieht man sich so diese Karrieren an, könnten Sie sich doch denken, dass auch Sie die Ernte hätten einfahren können und es gab auch Spekulationen, dass Sie Teamchef werden könnten.
Ich hatte damals ein einstündiges Gespräch mit Leopold Windtner. Ich glaube aber, ich hätte nicht anders als Marcel gehandelt, wir schreiben uns auch oft SMS.
Schmerzt es Sie, dass manche Spieler aus dem Team, vor allem die Torhüter der U20-WM 2007, keine erfolgreichen Karrieren hinlegen konnten?
Wissen Sie, da gibt es sehr, sehr viele Einflüsse. Ich habe neulich mit Andi Lukse geredet, der sich unlängst beim Aufwärmen für den FC Lustenau wieder einmal verletzt hat. Er hat ein Kind, eine Frau – die Menschlichkeit geht mir sehr nahe. Es ging um Schule und Beruf und das ist wichtig. Da habe ich die Charaktermerkmale bei vielen Spielern stärken können. Ich verfolge alle Karrieren, aber es kann ja nicht jeder schaffen. Viele schaffen es trotzdem. Ich denke auch an ein Gespräch mit Franck Stronach, der meinte, wir sollten mit dieser Mannschaft das elfte Team in der Zehnerliga sein. Daraus ist auch nichts geworden.
Haben Sie eine Richtzahl, wie viele Spieler pro Nachwuchsjahrgang eine große Karriere anstreben können?
Wir wurden Vize-Europameister bei der U16 1997, scheiterten im Elfmeterschießen an Iker Casillas. Dort kamen vier Spieler sofort in die Primera Division. Bei uns schaffte es keiner umgehend in den Bundesligakader. Das muss man berücksichtigen. Der 87er-Jahrgang ist sehr erfolgreich. Die St. Pöltner damals waren noch erfolgreicher, Stranzl, Scharner, Schoppitsch – man kann nicht sagen, dass aus jedem Kader zwei, drei in den A-Nationalteamkader kommen sollen.
„Burn-Out" war in den letzten Jahren ein großes Thema. Die psychische Gesundheit ist nicht zu vernachlässigen. Aber war es das harte Business oder mussten Sie sich selbst an der Nase nehmen?
Die Wahrheit wird wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen. Das Business mit der Verantwortung über beachtliche Budgets spielt auch eine Rolle. Aber es muss auch nicht immer alles stimmen, was in der Presse transportiert wird.
Eine Ansage. Zum Abschluss: Sie wurden im Juni 66 Jahre alt. Woher nehmen Sie die Motivation, nochmals etwas Neues zu machen?
Ich habe eine Zuneigung zum Fußball, das prägt mich und stigmatisiert mich. Motivation trägt jeder in sich und positiver Stress gehört dazu. Der ist mir abgegangen. Ich bin physisch und psychisch fit und das ist vom Alter unabhängig. Wir werden sehen, wie lange es dauert.
Wir danken für das Gespräch!
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