Michael Angerschmid: ‚Als Spieler oder als Trainer, man braucht seine Lehrjahre '

Seit Sonntag klingelt das Telefon bei Michael Angerschmid pausenlos. Montagvormittag wurde der ehemalige Mittelfeldspieler, der seit 1982 bei den Innviertlern engagiert ist und über 400 Spiele in der Kampfmannschaft absolvierte, als Cheftrainer präsentier


90minuten.at: Fangen wir mit der blödesten aller Reporterfragen an: Wie geht es Ihnen nun als Cheftrainer der SV Ried?

Michael Angerschmid: Sehr, sehr gut! Ich habe aber noch nicht viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Gestern habe ich sieben Stunden durchtelefoniert, heute war Pressekonferenz am Vormittag. Es war noch nicht wirklich Zeit, um wirklich abzuschalten. Aber es gibt Schlimmeres als das, was jetzt gerade passiert.


Aber ernsthaft: Wird sich an der täglichen Arbeit nun wirklich etwas ändern oder gehen jetzt halt Sie statt Gerhard Schweitzer nach den Spielen zum Interview?

Am Ablauf der Woche oder bei den Trainingsinhalten wird sich nicht viel ändern. Wir haben das in den letzten Wochen alles schon gemeinsam gemacht und es hat auch sehr gut funktioniert. So wie im Sommer, nach Paul Gludovatz' Abgang. Wir sind ein eingespieltes Team, in dem jeder weiß, was der andere für Vorstellungen hat und alle wissen, was der Andere macht.


War die Zeit, in der Manager Stefan Reiter auf der Suche nach einem neuen Cheftrainer war, schwierig für Sie und Herrn Schweitzer oder war das eher nach dem Motto "Es kommt, was kommt"?

Es ist bei uns alles so abgelaufen, wie vorher auch. Wir waren unter der Woche beschäftigt, die Arbeit für die Spiele am Wochenende zu machen. Man hat sich nicht großartig mit der Trainerbestellung beschäftigt oder wer das werden könnte. Das Hauptaugenmerk lag auf der täglichen Arbeit. Dass das letztendlich so entschieden wurde, ist ein Vertrauensbeweis und für uns sehr positiv.

 


Wenn man aber bei Rapid spielt bereiten wir vor, dass dort die eine oder andere Schiedsrichterentscheidung gegen uns entschieden wird, der Druck von den Zuschauern kommt und so weiter.

 


Ende der Saison 2007/08 haben Sie das Team schon drei Runden betreut. War das damals eine wertvolle Erfahrung für Ihre weitere Trainerkarriere?

Es war damals eine sehr positive Erfahrung. Ich habe die Mannschaft drei Runden vor Schluss übernommen und wir hätten damals auch noch absteigen können. Dann haben wir gleich zuhause den einen für den Nicht-Abstieg benötigten Punkt gegen den LASK gemacht. In Kärnten auswärts war das Stadion bis zum letzten Platz gefüllt, das war auch eine schöne Erfahrung. Danach folgte halt noch eine Niederlage gegen Rapid. Aber damals wäre ein Cheftrainerposten noch zu früh gekommen. Es ist wie überall, als Spieler oder als Trainer, man braucht seine Lehrjahre, die auch wichtig sind. Ich bin sehr dankbar für die fast sechs Jahre, die ich bei den Amateuren Trainer war. Man weiß oft nicht, wie viele Leute zum Training kommen, man muss improvisieren und man lernt, jeden Tag schnell zu handeln, sich auf gewisse Situationen einzustellen. Es wäre zu früh gekommen - das habe ich auch immer betont. Die drei Spiele waren eine schöne Erfahrung, ich wollte aber in die zweite Reihe zurück und mich zwei, drei Jahre weiter entwickeln, dazu lernen. Jetzt gibt es nach sechs Jahren nicht mehr sehr viel, was ich nicht könnte.


Sie sind 2008 und 2009 mit der Spielgemeinschaft Neuhofen/Ried Amateure zwei Mal Meister geworden. Kam dann auch das Bewusstsein: "Was ich tue, funktioniert echt gut"?

Das war mir von Haus aus klar. Als ich damals nach Neuhofen kam und Trainer der Amateure wurde, hatten diese nicht viel Wertigkeit im Verein. Ich habe das im Laufe der Jahre so auf die Beine gestellt, dass im ganzen Verein es so gesehen wird, dass das der Unterbau der Profimannschaft wird. Es gibt eine Akademie und die Wenigsten gehen von dieser direkt zu den Profis. Die Amateurmannschaft ist eine ganz wichtige Schnittstelle. Ich bin dort hin gekommen und ich bin ein Trainer, der das, was er tut, zu 100 Prozent macht. Wir haben in der ersten Vorbereitung trainiert, dass manche Spieler kurz vorm Speiben waren.


Zu viel?

Wir haben, so sage ich, normal trainiert, nicht übermäßig intensiv. Wir haben unsere Leistung sukzessive gesteigert und in der Meisterschaft gemerkt, dass das Ganze funktioniert. Wir stiegen auf, dann gab es eine völlig neue Mannschaft. Als Amateurtrainer kriegt man jedes Jahr vier, fünf Akademiespieler dazu. Man fängt jedes Jahr neu an. Meine Philosophie einer Amateurmannschaft ist es, Fußballspielen zu lernen. Da ist es mir auch wurscht, wenn ich 3:4 verliere, aber gut nach vorne spiele und drei Tore mache. Bei den Amateuren ist nicht das Ergebnis entscheidend. Das habe ich zuletzt auch in der oberösterreichischen Landesliga betont. Es ist nicht wichtig, ob ich am Ende Vierter oder Achter bin. Wichtig ist die Entwicklung jedes einzelnen Spielers. Die Tabellensituation entwickelt sich mit. Ich hatte immer großen Spaß zu arbeiten und konnte auch für mich viel probieren können, was im Profibereich nicht so geht.


Austria-Co Manfred Schmid sagte über den Jugendbereich, dass man lernt, Spieler "auszubilden, statt auszutauschen". Ist eine erfolgreiche Arbeit mit Jugendlichen der Grundstock für eine gute Profitrainerkarriere?

Das betone ich seit Jahren. Die Schule im Nachwuchs ist eine ganz wichtige. Man lernt zu improvisieren. Du sitzt daheim, bereitest dich auf 14 Spieler vor, am Nachmittag trainiert der Eine oder Andere mit den Profis, dann hast du nur noch zwölf. Du musst immer irgendwas korrigieren, musst schnell handeln. Wenn zu mir einer sagt, er wird vom Spieler gleich zum Cheftrainer, sage ich, dass das für mich der falsche Weg ist. Du hast im Nachwuchs viele Lernprozesse. In einer Akademie oder im Amateurbereich bist du fast schon der Ersatzpapa. Die Spieler kommen mit Problemen in der Schule, mit Eltern, mit Freundinnen und so weiter. Dort lernst du, gewisse Dinge zu lösen, die mit Fußball nichts zu tun haben.


Spielerbetreuung ist auch „klassische Co-Trainerarbeit" – aber immerhin blühen in Ried regelmäßig Spieler auf, die wo anders Probleme hatten. Letztes Jahr Marco Meilinger oder Daniel Beichler, nun Clemens Walch und Rene Gartler.

Du arbeitest in Ried mit Spielern, die von größeren Vereinen kommen. Dort ist manchmal nicht genug Zeit, der Kader ist größer – da kriegen die Spieler nicht so die Wertschätzung. Zum Beispiel Daniel Beichler: Der kommt nach Ried, hat davor sehr wenig gespielt. Dann musst du dich mit dem Spieler gerade zu Beginn mehr beschäftigen. Das heißt aber nicht, dass man jeden Tag eine halbe Stunde reden muss. Das sind Kleinigkeiten, du gehst als Co vorbei, gibst einen Klappser auf die Schulter und sagst: „Das und das war ok." oder „Da müssen wir vielleicht noch arbeiten" – oder es gibt zusätzlich nach dem Training noch die eine oder andere Einheit. Bei uns funktioniert das sehr, sehr gut. Ich habe auch noch mit vielen ehemaligen Spielern Kontakt. Die, die in Ried sind, fühlen sich sehr wohl.


Man merkt Ihrem Verein eine hohe taktische Reife an. Trainieren Sie anders als andere Vereine in Österreich?

Das kann ich schwer sagen, weil ich nicht weiß, wie andere Mannschaften im taktischen Bereich trainieren. Bei uns war es in den letzten Jahren so, dass wir uns immer sehr gezielt auf den nächsten Gegner vorbereiten. Es gibt immer eine Videoanalyse, das macht nicht immer derselbe Trainer. Dann wird über den Gegner gesprochen. Es wird eine Taktik besprochen und im Training geübt und wir versuchen es im Spiel umzusetzen. Das ist eine Detailarbeit, eine zeitaufwendige Arbeit, aber ich denke, dass wir uns so in den letzten Jahren gegenüber anderen Teams Vorteile erarbeitet haben.


In den letzten Wochen switchte die Mannschaft zwischen Dreier- und Viererkette, gegen die Admira wurde beinahe im 3-1-3-3 angegriffen, ohne dass großartig die Ordnung verloren ging. Wie erreichen Sie das genau?

Es ist bei uns mit Sicherheit so, dass wir versuchen, dass die Spieler genau wissen, was zu tun ist und wo die Stärken der Gegenspieler liegen. Wir schauen, wie wir erfolgreich spielen können. Die Arbeit passiert auf dem Platz, da gibt es immer wieder einen Pfiff, Korrekturen, Erklärungen, was nicht so gut war oder Dinge, die gut waren. Und die Spieler lernen daraus. Das nimmt eine Eigendynamik, der eine Spieler fragt den anderen: „Warum schiebst nicht rein?" In Wahrheit geben wir den Leitfaden, ausführen muss der Spieler. Im Spiel kannst du von außen nicht so viel korrigieren.


Beinhaltet der Leitfaden oder Matchplan auch ungünstige Spielverläufe, etwa ein frühes Gegentor?

Wir reden relativ wenig über Gegentore. Wenn man aber bei Rapid spielt bereiten wir vor, dass dort die eine oder andere Schiedsrichterentscheidung gegen uns entschieden wird, der Druck von den Zuschauern kommt und so weiter. Der Plan steht, der wird unter der Woche ausgearbeitet. Falls man ein Tor bekommt, ändert sich ja nicht grundsätzlich die Taktik. Wenn man kurz vor Schluss 1:2 hinten ist, dann bringt man die letzten 20 bis 25 Minuten noch einen Stürmer. Aber wir versuchen, unser Spiel 90 Minuten durchzuziehen.


Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung, seit Sie und Gerhard Schweitzer von Heinz Fuchsbichler übernommen haben?

Die Entwicklung war sicherlich positiv. Aber man kann das nicht immer an Ergebnissen festmachen. Das sind zwei paar Schuhe. Das Ergebnis ist schon wichtig, wir haben Salzburg daheim geschlagen, auswärts gegen Sturm gut gespielt, haben gegen Rapid sehr, sehr gut gespielt, dann daheim Mattersburg geschlagen. Man merkt einen gewissen Aufwärtstrend. Die Spieler wissen genau, was wir von ihnen verlangen. Und wenn das der Fall ist, dann funktioniert das auf einmal.


Ried steht auf dem fünften Rang, hinter Austria, Salzburg, Rapid und Sturm. Ist das mittelfristig das Höchste der Gefühle für die SV Ried?

Unsere Mannschaft ist sehr jung, mit viel Potential nach oben. Uns fehlt ab und zu eine gewisse Routine, geht der eine oder andere Chef mehr am Platz ab. Das wissen wir und war uns schon im Sommer klar. Jetzt geht es darum, sich als Mannschaft weiter zu entwickeln, dass sich der eine oder andere als Führungsspieler mehr rauskristallisiert. Der Reifungsprozess dauert zwei, drei Jahre und die Zeit muss man den Spielern auch geben. Die Erwartungshaltung ist mit zwei Herbstmeistertiteln in den letzten Jahren zwar sehr groß, aber man darf nicht davon ausgehen, dass Ried mit dem Budget jedes Jahr um den Meistertitel mitspielt. Das wird auf Dauer nicht gehen. Ziel ist die Weiterentwicklung. Wir sehen uns als Ausbildungsverein - damit wir in einem halben Jahr wieder einen Teamspieler haben oder durch einen Verkauf wieder Geld lukrieren sowie den einen oder anderen aus der Akademie oder von den Amateuren einbauen können.


Wir danken für das Gespräch!

 

Siehe auch: Angerschmid: 'Es kann dir als junger Trainer nichts Besseres passieren'

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