Edi Stöhr: 'Weniger rational, dafür umso gefühlsduseliger'
Das Wort „Fußballprofessor" ist zwar überstrapaziert, trifft aber auf den neuen Blau Weiß Linz-Trainer Edi Stöhr definitv zu. Im Gespräch mit 90minuten.at geht es nicht nur um einen „Traditionsverein in der Krise", es entpuppt sich beinahe als philosophis
Das Wort „Fußballprofessor" ist zwar überstrapaziert, trifft aber auf den neuen Blau Weiß Linz-Trainer Edi Stöhr definitv zu. Im Gespräch mit 90minuten.at geht es nicht nur um einen „Traditionsverein in der Krise", es entpuppt sich beinahe als philosophischer Diskurs über den modernen Fußball. Der gebürtige Deutsche redet über den kürzlich angetretenen Posten, wachsende Verantwortung auf der Trainerbank eines Traditionsvereins und wie der letzte Platz in der Heute für Morgen-Ersten Liga verlassen werden kann. Darüber hinaus gibt der ehemalige Hertha BSC Berlin-Scout Einblick in diese Welt - „Der Scout muss quasi mit den Augen des Trainers beobachten und einschätzen.
Das Gespräch führte Georg Sander
90minuten.at: Die wichtigste Frage vorne weg: Warum Blau Weiß Linz?
Edi Stöhr: Dies ist eine Frage von Suchen und Finden. In diesem Fall bin ich von Blau Weiß Linz gesucht und gefunden worden und habe mich auch gerne finden lassen.
Inwieweit haben Sie sich schon ein umfassendes Bild von der Situation in Linz machen können?
Die drittgrößte Stadt Österreichs ist wunderschön gelegen, hat einen außerordentlich attraktiven alten Stadtkern und viel Industrie als potentielle Partner für Sportvereine wie Blau Weiß Linz. Wir sind im Moment die Nummer eins im Fußball, auf alle Fälle was die Ligazugehörigkeit betrifft. Diese Position gilt es zu halten, wenn möglich auszubauen. Eine schwierige Aufgabe, angesichts der eigenen Lage, der Konkurrenz in der Stadt, der Konkurrenz im Sport allgemein und der Konkurrenz in der gesamten Unterhaltungsbranche.
Wie sieht es mit dem Kader aus? Gibt es da schon Vorstellungen, wie der in der Rückrunde aussehen könnte?
Vorstellungen gibt es wohl, allein für eine konkrete Antwort ist es viel zu früh.
Wie kommt man von da unten weg – über den Kampf oder die spielerische Linie?
Das Eine ohne das Andere kann kaum zum Erfolg führen. Also ist beides notwendig, auf höchst möglichem Niveau. Dazu aber auch Teamgeist, Mut, Überzeugung, Mannhaftigkeit, Siegeswille, Frustrationsresistenz und, und, und. Wir müssen dahin kommen, sehr viele Dinge dauerhaft richtig zu machen.
Denken Sie, dass Ihr neuer Verein angesichts vieler vergebener Torchancen taktisch generell anders auftreten muss oder muss lediglich ein Feintuning her?
Auch hier muss ich um Geduld bitten. Abhängig von eventueller Kaderungestaltung lasse ich mir alle Optionen offen, natürlich auch die Frage der generellen taktischen Ausrichtung.
Sie haben mit der Austria aus Lustenau einen Zweitligatopklub betreut, in die Bundesliga geführt, später ins Cupfinale. Beschreiben Sie die taktischen Umstellungen zwischen einem Klub 'unten' und einem 'oben'!
Der Klub 'oben' ist deshalb dort, weil er seine Idee vom Spiel schon etwas länger verfolgt und umsetzt. Beim Klub 'unten' ist dies eben nicht der Fall. Dieser Rückstand ist nur durch Lernen und harte, kontinuierliche Arbeit aufzuholen. Dafür brauchst du in erster Linie Zeit und eine lernwillige Mannschaft. Ein Defizit bei einer Voraussetzung kann durch ein Mehr bei der anderen kompensiert werden.
Wie sind dann kurzfristige Erfolge oder Misserfolge zu erklären?
Dies haben schon viele vor mir zu erklären versucht und sind zu keinem, über objektive Kriterien messbaren, Ergebnis gekommen. Dieses Spiel übt eben auch deshalb eine derartige Faszination aus, weil andere Faktoren Einfluß auf Verlauf und Ausgang nehmen, die nicht berechenbar sind.
Kollege Gerald Gossmann hat recherchiert, dass einige Spieler mit den taktischen Vorgaben unter Thomas Weissenböck wenig anfangen wollten: Wie wichtig ist Ihnen Taktik, wie viel Prozent macht sie aus?
Eine solche Recherche muss auf sehr viel internes Hintergrundwissen zurückgreifen. Deshalb bin ich hier etwas zurückhaltend, was die Kraft hinter dieser Aussage betrifft. Für das Gelingen einer Sache, wie wir sie vorhaben, ist eine gemeinsame, geplante Vorgehensweise Grundvoraussetzung und deshalb von existentieller Bedeutung.
Wenn es da nicht die große Tradition in Gedenken an den SK Voest und den Meistertitel von 1974 geben würde – wären Sie zum letzten der Heute für Morgen-Ersten Liga gegangen?
Das Ablehnen von Arbeitsangeboten hängt ganz sicher von anderen Faktoren ab als dem Fehlen einer großen Tradition. Die Herausforderung, den Letzten auf einen sicheren Platz zu führen ist natürlich noch größer, wenn dieser Verein auf eine lange Tradition und eine treue Anhängerschaft zurückblicken kann. Die Verantwortung wächst damit natürlich genauso wie die Größe der erforderlichen Anstrengungen, aber auch die Chance auf breitere Anerkennung.
Sie waren bei der Hertha BSC Berlin und Austria Lustenau tätig. Wie wichtig ist ihnen als Trainer die Tradition eines Vereins?
Tradition an sich ist noch kein Wert, der meine Entscheidungen wesentlich beeinflussen könnte. Die über Tradition transportierten Werte allerdings sehr wohl.
Das heißt, die Vision muss stimmen und Sie würden auch durch Mäzen gepushte Klubs übernehmen?
Ein wenig differenzierter würde ich die Sache dann doch sehen. Die TSG 1899 Hoffenheim ist möglicherweise kein Traditionsverein im hier diskutierten Sinn. Dennoch existiert sie seit mehr als 100 Jahren. Dass sie erst in den letzten Jahren zur deutschen Elite aufgeschlossen hat, also Jahre einer kontinuierlichen, möglicherweise gesünderen Entwicklung, übersprungen hat, ist per se noch nicht negativ zu bewerten. Ansonsten müssten wir in eine gesellschaftliche Debatte einsteigen und über professionellen Sport insgesamt bis hin zur Existenzberechtigung von New Economy Firmen wie Google oder Facebook diskutieren. Ich hoffe das genügt als Antwort auf Ihre Frage. Dass die rasante Entwicklung in Hoffenheim auch ihre Kehrseiten hat, zeigt sich im Moment deutlicher als gewünscht und von den Machern vielleicht erwartet.
Was ist das Spezielle am Umfeld bei einem Traditionsverein für Sie als Trainer? Gibt es mehr Einflüsterer?
Dem besonderen Geschick des Trainers, Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen, Meinungen zu filtern und für sich und seine Arbeit zu verwerten, kommt in Vereinen mit größerer Tradition – und damit größerem öffentlichen Interesse und größerer Meinungsvielfalt, aber auch dem Bedürfnis dieser Vielfalt Ausdruck zu geben – auch größere Bedeutung zu.
Sie kommen von 'außen', kennen das mitunter schwierige Linzer Umfeld nicht. Ist das ein Vorteil?
Das wird sich erst zeigen. Ein Zuviel an Kenntnissen lenkt möglicherweise vom Kern der Arbeit ab, ein Zuwenig könnte negativen Einflussfaktoren ungehindert viel Raum lassen. So oder so, die Arbeit muss, allen Schwierigkeiten zum Trotz, mit Überzeugung und möglichst mühelos erscheinend, getan werden.
Die halbe Premier League gehört Investoren, Spanien geht's nicht gut, in Österreich wird alles verkauft, was zu Geld zu machen ist und dann spielt RZ Pellets WAC gegen Red Bull Salzburg. RB Leipzig kommt, Hoffenheim ist schon da: Warum haben die traditionsreichen Vereine, die nicht schon seit vielen Jahren groß sind, so viele Probleme? Reden sportlich so viele mit?
Dieses gesamte Thema gehörte bisher nicht zu meinen Spezialgebieten. Eine fundiertere Antwort würde deshalb auch etwas mehr Nachdenken erfordern. Dennoch wage ich eine schnelle These. Auch für traditionsreiche Verein gilt: Für das Gelingen, den Erfolg und eine dauerhafte Präsenz sind die handelnden Personen hauptverantwortlich, die verschiedenste Bedürfnisse, Befindlichkeiten, vielleicht Eitelkeiten, Notwendigkeiten und so weiter mit möglichst wenig Reibungsverlust zusammenführen müssen, zum Wohle des Vereins. Dies ist naturgemäß umso schwieriger, je größer die Meinungsvielfalt und die Anzahl derer, die weniger rational argumentieren, dafür aber umso gefühlsduseliger.
Sie waren Trainer in Leipzig und in Berlin tätig. Wie beäugt man im Osten den Einstieg Red Bulls in den deutschen Fußball?
In Leipzig ist die Anerkennung und Zuwendung sehr groß, zumal seit der Wende, trotz temporärer Erstligazugehörigkeit von Lok, professioneller Fußballbetrieb aus verschiedenen Gründen eigentlich nicht stattfand. Rasenball Leipzig ist bei der Gegnerschaft geliebt und gehasst zugleich, beneidet und angefeindet wegen seiner unendlich scheinenden finanziellen Möglichkeiten.
Sie waren Assistent bei den Stuttgarter Kickers, gingen nach Österreich. Kommt man hier nicht mehr weg?
Als Bayer bin österreichaffin aufgewachsen. Ferien und Urlaub wurden überwiegend in diesem wunderschönen Land verbracht. Ein Großteil meiner Karriere als Trainer fand hier statt. Schade eigentlich, dass mein Weg als Spieler nie hierhergeführt hat. Ihre als Frage formulierte These scheint also zu stimmen.
Sie waren lange Jahre bei Hertha BSC Berlin als Spiel- und Spielebeobachter tätig. Wie erfüllend ist das für einen Trainer, einen, der die Linie gewohnt ist?
Diese Phase als Scout, die mich durch den gesamten europäischen Fußballraum geführt hat, war auch für meine Reifung als Trainer sehr wichtig. Erst dadurch hat sich mein Bild von Fußball, meine Idee vom Spiel abgerundet, verfestigt, stabilisiert. Abgesehen davon war die Zeit spannend und attraktiv.
Die Arbeit der Scouts war zuletzt medial ein Thema, es ging um Rapid Wien. Wie sieht die Arbeit eines Scouts aus?
Dies ist im Einzelfall sehr unterschiedlich und abhängig davon ab, bei welchem Verein und in welcher Position der Beobachter unterwegs ist. In jedem Fall ist die Tätigkeit extrem arbeitsintensiv und verantwortungsvoll. Das Verständnis für das Spiel und für die einzelne Position muss bei sportlicher Leitung und Beobachter praktisch deckungsgleich sein, der Scout muss quasi mit den Augen des Trainers beobachten und einschätzen.
Anhand welcher Kriterien empfehlen Sie Spieler? Gibt es da eine Checkliste? Wie viel hängt vom persönlichen Gespräch, vom Bauchgefühl ab?
Auch dies ist von Verein zu Verein verschieden. Grundsätzlich aber gilt es, Bewertungsbögen abzuarbeiten, in denen alle relevanten Leistungsfaktoren quantitativ und qualitativ vermerkt und eingeschätzt werden. Um ein möglichst objektives Bild über die qualitativen Merkmale zu erhalten, wird mehrfach und von unterschiedlichen Scouts gesichtet. Die Eindrücke werden dann zusammengeführt in der Hoffnung auf eine gemeinsame einheitliche Einschätzung. Mir persönlich waren und sind darüber hinaus drei Aspekte beim Beobachten sehr wichtig. Dies ist einerseits der Gesamteindruck, möglichst ohne Einfluss des einzelnen Kriteriums, in Anlehnung daran der Grad der Präsenz des Spielers, also das Ausmaß seines Einflusses auf Mannschaft und Spiel und andererseits das Finden einer oder mehrerer überragender, also weit überdurchschnittlich ausgeprägter Fähigkeiten. Das persönliche Gespräch ist für das Kennenlernen der Persönlichkeit und aller sich daraus ergebenden Erkenntnisse über das Vorhandensein notwendiger Charaktereigenschaften unerlässlich und von entscheidender Bedeutung.
Sie haben beim Berliner SC als sportlicher Leiter auch Konzepte erarbeitet. Vorerst geht der Vertrag in Linz bis Sommer. Werden Sie auch für die Weiterentwicklung des Klubs sorgen?
Auch und gerade diese Tätigkeit hat mich noch einmal weitergebracht in meinem Bestreben, so viel wie möglich zu erfahren über dieses Spiel, theoretisch ebenso wie in der Praxis. Darüber hinaus wohnt die grundsätzliche Tendenz in mir, überall da Einfluss zu nehmen, wo ich glaube einen positiven Effekt erzielen zu können. Ganz wesentlich wird dieser Drang natürlich beeinflusst durch das Anforderungsprofil, das der Verein an die Cheftrainerposition anlegt.
Wir danken für das Gespräch!
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