Austria-Co Manfred Schmid: 'Man lernt Spieler auszubilden statt auszutauschen'
Hütchen aufstellen und Pokerrunden zu organisieren steht nicht in der Jobdescription von Austria Wien-Co-Trainer Manfred Schmid - vielmehr analytische und aufwendige Arbeit. Im ausführlichen Interview mit 90minuten.at spricht er über sein Verhältnis zu Pe
Hütchen aufstellen und Pokerrunden zu organisieren steht nicht in der Jobdescription von Austria Wien-Co-Trainer Manfred Schmid - vielmehr analytische und aufwendige Arbeit. Im ausführlichen Interview mit 90minuten.at spricht er über sein Verhältnis zu Peter Stöger, was er wirklich zu tun hat als Co-Trainer und über junge Spieler, die in Löcher fallen. Außerdem erklärt Schmid, wie er aus einem Ortlechner einen Piqué machen will.
Das Gespräch führte Georg Sander
90minuten.at: Peter Stöger meinte in einem Interview, er habe sich als Spieler vor Ihnen gefürchtet. Wie ist Ihr Verhältnis jetzt?
Manfred Schmid: (lacht) Er fürchtet sich nicht mehr. Ich glaube, das entstand bei einem Wiener Derby. Er hatte seine Stärken in der Offensive. Dort bin ich nie hin gekommen, hatte zumeist vier, fünf Spieler vor mir, die mir ab der Mittellinie viel Glück in der Defensive gewünscht haben. Man konnte sich auf mich verlassen, wusste, dass ich relativ hart spielte. Ich war nicht unfair, habe zwar viele gelbe Karten gesehen, aber habe nie jemanden verletzt. Darauf ist das zurückzuführen. Ich habe mich nicht geschont und die Gegner auch nicht.
"Gewisse Lauf- und Passwege sind eintrainiert, gewisse Automatismen wurden entwickelt. So haben wir ein System entwickelt und können auch Einwechslungen oder Sperren auffangen. Es ist egal, wer spielt."
Sie kamen mit Ivica Vastic zur Austria. Die Veilchen vor dem Sommer unterscheiden sich am Feld stark von jenen danach. Warum?
Das ist ein sehr heikles Thema. Ich kann nur sagen, dass wir jetzt eine Spielphilosophie haben, die wir in Wiener Neustadt nicht so offensiv interpretieren konnten. Peter Stöger und ich verstehen uns schon seit dieser Zeit sehr gut, haben beide lange bei der Austria gespielt, haben dieselbe Philosophie. Wir haben ein ganz klares Spielsystem definiert, jeder Spieler am Platz weiß genau, was auf jeder Position zu tun ist. Gewisse Lauf- und Passwege sind eintrainiert, gewisse Automatismen wurden entwickelt. So haben wir ein System entwickelt und können auch Einwechslungen oder Sperren auffangen. Es ist egal, wer spielt. Das ist ein Grundfaktor für den gegenwärtigen Erfolg. Dazu kommt noch Peters Menschenführung. Er ist ein Trainer einer neuen Generation, ein absoluter Teamplayer, der seine Co-Trainer arbeiten lässt. Man genießt vollstes Vertrauen, das er zu hundert Prozent zurück kriegt.
"Wir versuchen im Training dahin zu arbeiten, dass wir den Gegnern die Stärken nehmen."
Lange Zeit hatte man in der Öffentlichkeit den Eindruck, der Co-Trainer wäre zum Karten dippeln und Hutterl aufstellen da. Was sind aber Ihre konkreten Aufgaben?
Zunächst war das blinde Vertrauen da und wir haben Ideen ausgetauscht. Auch über die Zusammenstellung der Mannschaft, bestes Beispiel James Holland. Der war für mich von Anfang an ein sehr guter Spieler, der zunächst nicht die Einsätze bekam, die er brauchte. Stöger fragte mich, ob wir einen Sechser brauchen. Für mich war aber klar, dass Holland ein Spieler ist, der für unseren Erfolg sehr wichtig sein kann, der taktisch sehr gut geschult ist. Das haben wir im Vorfeld in Gespächen geklärt. Die Trainingsplanung machen wir gemeinsam, besprechen die Systementwicklung, machen die Spielanalyse. Da vertraut er mir blind. So war es schon in Wiener Neustadt. Ich analysiere die Videos und schneide diese zusammen. Er weiß ganz genau, dass ich das mache, wie er das will.
Bleiben wir bei der Gegneranalyse. Wie gehen Sie diese an?
Es ist sehr aufwändig. Durch viele Fortbildungen und Gespräche mit Spielern oder Co-Trainern von beispielsweise Hannover oder Chelsea habe ich mir angeschaut, wie das wo anders passiert. Finanziell ist das etwas Anderes. Ich habe auch mit Roger Spry, der mit Jose Mourinho zusammen gearbeitet hat, geredet und geschaut, worauf andere Trainer bei der Analyse Wert legen. So habe ich das seit mittlerweile zehn Jahren betrieben, habe Europa- und Weltmeisterschaften für mich analysiert, die besten Pass- und Laufwege angesehen. Wie spielt ein Piqué aus der Abwehr heraus und warum macht das ein Ortlechner bei uns nicht auch so? Ich bin nicht der Ansicht, dass die einfachen Pässe, die Barcelona spielt, in Österreich nicht umsetzbar sind. Diese Qualität haben unsere Spieler allemal. Aber das ist über Jahre einstudiert und die Spieler müssen die Laufwege machen. So bin ich dazu gekommen, mich damit zu befassen, wie ich einem gegnerischen Spieler und gegnerischen Mannschaft die Stärken nehmen kann.
Auf Basis dessen, was der Gegner oft macht, erstellen Sie die Analyse?
Ich schaue, wo die Stärken der Mannschaft sind und gehe dann zur Analyse der Mannschaftsteile und einzelnen Spieler über. Ich versuche, die Automatismen zu unterbrechen. Da kommt man im Laufe der Zeit auf gewisse Dinge drauf. Ich schaue mir die Spiele entweder selber live an oder der Spielebeobachter macht das. Dann schneide ich ein Video zusammen. Das dauert ein, zwei Tage. Die Aktionen, in denen wir dem Gegner die Stärke nehmen können oder unsere Stärken am besten zu tragen kommen, präsentiere ich. Es wird nicht irgendwas erfunden, sondern man kann sich das anschauen. Es gibt gewisse Angriffe, die die Vereine immer wieder spielen, teilweise nicht einstudiert, aber eben Automatismen. Wenn man die zustellt, dann hat der Eine oder Andere schon ein Problem, ist verwundert, warum das am Spielfeld so passiert.
Wie weit geht diese Analyse? Sie werden ja hoffentlich nicht Ihren Kickern sagen, dass ein Gegner da und dort Schmerzen hat, oder?
Das sicher nicht, ich will es nicht ins Negative ziehen und einen Spieler schlecht hinstellen. Das geht meistens ins Auge, weil er genau an dem Tag dann gerade super drauf ist. Das passiert oft bei Torhütern, dass man sagt, er würde keine Flanken fangen und dann passiert das Gegenteil. Es geht aber schon in die Richtung, dass man sieht, dass sich ein Spieler bei der Ballannahme immer in eine Richtung dreht. Da kann man schon ansetzen, auch wie ein Verteidiger attackieren muss.
Das trainieren Sie vom eigenen Spiel ausgehend auf den Gegner zugeschnitten?
Grundsätzlich ist es so, dass wir versuchen, unser eigenes Spiel durchzuziehen. Das ist der Hauptschwerpunkt. Nach dem Spiel wird analysiert, ob die Bewegung, das Timing oder die Passqualität passt. Demnach wird in den nächsten Tagen reagiert. In der Analyse wird theoretisch gearbeitet. Das passiert oft nicht am Platz, weil die Spieler das ja können. Wenn die Spieler das visuell bekommen, tun sie sich schon leicht.
"Ich erkenne einen Spieler, der in einer Akademie war. Das meine ich positiv. Im Rahmen ihrer Fähigkeiten sind sie körperlich, technisch und taktisch gut ausgebildet. Was ihnen fehlt, ist der Übergang in den Erwachsenenfußball. Ein Kritikpunkt ist, dass ihnen relativ viel abgenommen wird."
Das heißt, die Besprechung sieht aus wie bei Sport1 die Spieltagsanalyse?
Ähnlich, aber wir versuchen Schwerpunkte herauszunehmen. Als ich als Trainer angefangen habe, wollte ich ihnen sinngemäß die Schuhgröße und das Gewicht sagen. Das ist übertrieben. Wir versuchen im Training dahin zu arbeiten, dass wir den Gegnern die Stärken nehmen. Wenn ich einem Gegner die eine Seite offen lasse, ist die Gefahr zehn Prozent, bei der anderen 90. Dann lassen wir ihm die zehn Prozent.
Sie waren in der Frank-Stronach-Akademie tätig. Die Ausbildung in den Akademien ist nicht unumstritten.
Ich erkenne einen Spieler, der in einer Akademie war. Das meine ich positiv. Im Rahmen ihrer Fähigkeiten sind sie körperlich, technisch und taktisch gut ausgebildet. Was ihnen fehlt, ist der Übergang in den Erwachsenenfußball. Ein Kritikpunkt ist, dass ihnen relativ viel abgenommen wird. Einerseits ist das gut, weil sie sich voll und ganz auf den Fußball konzentrieren können, andererseits ist schlecht für die Selbständigkeit und die Persönlichkeit. Ich würde das aber auch nicht negativ sehen. Es gibt nur noch selten Spieler, die ohne Akademie den Sprung in die Bundesliga schaffen. Ein nicht-Akademiker kann das nicht aufholen. Man sieht ja an den Zahlen, dass die Akademien gut sind. Sicherlich gibt es Dinge, die zu verbessern sind, etwa die Schulbildung.
Wer mit 14, 15 nicht in eine Akademie rein kommt, muss die große Karriere abhaken?
Das will ich nicht ganz ausschließen. Aber ich kann mich an keinen einzigen Spieler in den letzten Jahren erinnern, der von außen dazu gekommen wäre und den Sprung geschafft hat. Die Qualität in den Akademien ist sehr hoch, weil der Konkurrenzkampf sehr groß ist. Wir schauen uns alle Spieler an, aber es passiert nicht oft, dass einer kommt.
Werden die Spieler zu sehr auf eine Norm geschliffen, haben „schlampige Talente" kaum eine Chance?
Das muss man mit unser Zeit vergleichen. Das waren die ewigen Talente, die vielleicht besser waren als viele, die den Sprung ins Nationalteam schafften oder in die Bundesliga. Aber sind die wirklich besser gewesen? Ist es besser, ein technisches Talent zu haben oder eine professionelle Einstellung und den Willen, Profi zu werden? Bei der Austria war es nie ein Thema, einen Spieler, der Probleme machte, auszusortieren. Wir wissen, was es für Spielertypen gibt. Wenn einer absolut keine Bereitschaft zeigt, dann muss man sagen. 'Es tut mir leid'. Als ich in der FSA war, wurden wir oft kritisiert, aber in der Akademie war niemand – nix wissen und drüber zu reden, ist nicht ok.
"Du merkst bei manchen Spielern, dass sie schön vom Fußball leben, aber nichts dafür tun, um sich weiter zu entwickeln."
Also eher technisch-taktische Disziplin als „Scheiberln"?
Für mich ist die Grundeinstellung wichtig. Ich habe es als Spieler nur geschafft, weil ich einen unbedingten Willen hatte, Profi zu werden. Ich habe alles auf die Seite geschoben, Freunde, Freundinnen – ich hatte nur das Eine im Kopf. Du merkst bei manchen Spielern, dass sie schön vom Fußball leben, aber nichts dafür tun, um sich weiter zu entwickeln. Wenn ich mir unsere Akademiespieler im Kader anschaue, dann sehe ich keinen, der nicht unbedingt will! Die Generation, die keine Leistung bringen will, ist augestorben. Natürlich muss man auch einem Spieler zugestehen, ein halbes Jahr in ein Loch zu fallen. Die Trainer wissen genau, was passiert. Wenn ein Spieler gut ist und zeigt, dass er will, wird ihm auch geholfen, wenn Probleme hat.
Hat dieser neue Realismus auch mit den eingesehenen finanziellen Rahmenbedingungen zu tun?
Bei der Austria gibt es genau geregelte Verträge. Die reden ja untereinander! Es gibt vielleicht Spieler, ohne die Verträge zu kennen, die einen Zuschuss bekommen, wenn sie von auswärts kommen. Aber es gibt eigentlich keine Unterschiede. Wenn ein Spieler Leistung bringt, in die Kampfmannschaft oder die Nationalmannschaft kommt, wird das Gehalt angepasst. Das halte ich für gerechtfertig. Das wird angepasst und ist leistungsbezogen. Ich bin ein absoluter Gegner davon, Spieler mit Geld zuzuschütten. Wenn Einer deswegen nicht zu uns kommen will und unsere Ausbildung genießen will, dann muss er sich halt einen anderen Verein suchen. Bei der Austria wird es das nicht geben, dass wir großartige Summen für Spieler ausgeben.
Wollen Sie irgendwann wieder in die erste Reihe vortreten?
Eigentlich wollte ich nie Co-Trainer werden. Ich bin damals in die Akademie gekommen, habe die Trainerausbildung bis zur UEFA-Prolizenz gemacht. Ich war immer sehr ehrgeizig, habe versucht mich fortzubilden, war bei Barcelona, Chelsea, Freiburg oder Hannover, habe mit vielen Leuten gesprochen. Als Spieler wollte ich gleich nach meiner aktiven Karriere die Austria trainieren, wozu es Gott sei Dank nie kam. Für mich war das positiv. Bei den Jungen lernt man, Spieler auszubilden, statt auszutauschen! Ich habe in der U15 begonnen, da hast du 16, 17 Spieler zur Verfügung. Wenn einer ausfällt, musst du einen anderen heranführen. Du kannst nicht nach einem halben Jahr so was sagen wie: „Putz di! I hol an Besseren!"
Schwerpunkt: Das Erfolgsgeheimnis der Wiener Austria im Herbst 2012
Peter Stöger: ‚Es wäre billig zu sagen, wir haben 48 Punkte, weil Hosiner zu uns gestoßen ist'
Starke Austria, schwache Analyse
Austria-Co Manfred Schmid: 'Man lernt Spieler auszubilden statt auszutauschen'
Wie dann?
Ich habe Methoden entwickelt, um die Spieler besser zu machen. Durch die Fortbildungen und Beobachtungen habe ich gelernt. Mein Grundsatz, auch der Kern meiner Diplomarbeit, war, ganz nach oben zu kommen. Das betrifft aber weder Liga, noch Verein – sondern die Qualität meiner Arbeit. Das steht bei mir im Vordergrund. Wenn ich die Chance habe, Einsertrainer zu werden, wollte ich bereit sein. Das bin ich. Jetzt habe ich aber Spaß mit Peter Stöger, wir verstehen uns super und ich kann mir vorstellen, lange mit ihm zu arbeiten. Es wird nicht immer so positiv laufen wie jetzt. Aber ich genieße vollstes Vertrauen. Ich möchte mit Peter den Verein weiter entwickeln. Es harmoniert alles sehr gut, aber es gibt immer Dinge, die man noch optimieren kann.
Wir danken für das Gespräch!
.