Roman Horak: "Ernst Happel war die Differenz, die es ausgemacht hat"

Könnte Ernst Happel auch im Jahr 2017 funktionieren? Bekommt er den Stellenwert, den er verdient? Warum ist der Blick in die Vergangenheit oft getrübt? Fragen, denen Michael Fiala mit dem Soziologen Roman Horak nachgegangen ist.

Das Gespräch führte Michael Fiala

 

Ausgangspunkt für  das Interview ist ein legendäres Interview von Ernst Happel mit dem Spiegel aus dem Jahr 1986, in dem sich der „Grantler“ wie zu erwarten war kein Blatt vor den Mund nimmt. Beispiel? Auf die Frage, warum er so wenig Lust hat, mit Journalisten zu reden, sagt Happel: „Ich bin ein Fußball-Trainer, wenn ich ein Schriftsteller wär, könnt ich Ihnen einen Roman erzählen. Warum soll ich das, es kommt doch nichts dabei raus. Da werden manchmal idiotische Fragen gestellt, und ich soll die dann beantworten.“

 

Beim Länderspiel gegen Uruguay wird des 25. Todestags von Ernst Happel gedacht, der sich 2017 jährt. Parallel hat sich in den vergangenen Wochen seine Enkelin Christina Happel dem „medialen Vermächtnis“ angenommen und auf Facebook & Co eine eigene Seite ins Leben gerufen, der erste vorläufige Höhepunkt ist ein Kaffee-Haus-Talk in Happels Wohnzimmer – Cafe Ritter – am 13. November um 19:45.

 

90minuten.at hat sich mit dem bekannt fußball-affinen Soziologen Roman Horak über die Legende Ernst Happel unterhalten und wollte wissen, ob der „Wödmasta“ auch im Jahr 2017 funktionieren würde.

 

Horak: "Aber generell ist in der verkapitalisierten Fußball-Welt weniger Platz fürs Erinnern."

90minuten.at: Am 14. November steht das Länderspiel gegen Uruguay auch im Zeichen von Ernst Happel, dessen 25. Todestag sich 2017 jährt. Welche Bedeutung hat Ernst  Happel im österreichischen Fußball aktuell?

Roman Horak: Das ist eine spannende Frage, er ist ja schon lange tot. Er war sicherlich eine große, wichtige Figur im österreichischen Fußball, sowohl als Spieler und auch als Trainer. Und er war auch sehr originell. Ob Happel jetzt noch Abseits dieser besonderen Termine so wichtig ist, bin ich mir nicht mehr so sicher. Es gibt viele Wegbegleiter, die sich noch an ihn erinnern, aber ob das bei den Jüngeren auch so ist? Da bin ich skeptisch.

 

90minuten.at: Welche Bedeutung sollte er Ihrer Meinung nach haben?

Horak: Es gibt eine ganze Reihe von großen Fußballern, die aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Ich erinnere zum Beispiel an Gerhard Hanappi, der ewig lang Rekordspieler des Nationalteams war. Der ist auch kaum mehr im Gedächtnis, es gibt mittlerweile auch kein Hanappi-Stadion mehr, aber zumindest einen Hanappi-Platz (lacht). Es ist generell glaube ich ein Problem, inwieweit man im zeitgenössischen Fußball noch ein Geschichtsbewusstsein hat. Das verblasst meiner Meinung nach mehr und mehr. Das Wissen um die großen Figuren Abseits vom blöden Cordoba-Spiel verschwimmt.

 

"Interessant ist auch, dass das Interview mit dem Spiegel vermittelt, dass Happel viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, sich quasi nicht wirklich vorbereiten muss, er geht ins Casino und verspielt dort eine Menge Geld. Diese Art der privaten Entblößung könnte man sich heutzutage nicht mehr leisten." - Roman Horak über Ernst Happel

90minuten.at: Wäre es wichtig, dass diese Erinnerungen nicht verschwimmen?

Horak: Ich finde es wichtig, dass man bestimmte Figuren, die herausragend waren, nicht vergisst und sich immer wieder daran erinnert. Österreichs größter Fußballer, Matthias Sindelar, taucht auch immer nur bei Jubiläen auf. Wobei sich da schon einiges getan hat, wenn man bedenkt, dass Austria und Rapid Museen eröffnet haben, die auch großes Interesse hervorrufen. Aber generell ist in der verkapitalisierten Fußball-Welt weniger Platz fürs Erinnern. Es reagieren nur noch die aktuellen Typen, es regieren die Zahlen.

 

90minuten.at: Generell gibt es immer wieder öffentliche Diskussionen über Legenden im Fußball, die sich mehr oder weniger an die Vergangenheit klammern. Wie nehmen Sie diese wahr?

Horak: Es ist nicht so unklug, von der Vergangenheit zu leben aus Sicht des Betroffenen, wenn die Gegenwart nicht so erfolgreich ist. Ich habe vor 20 Jahren im Rahmen von autobiografischen Aufzeichnungen Gespräche mit ehemaligen Fußballern geführt. Der Witz war, dass bei fast allen die Vergangenheit glorifiziert wurde. „Früher war alles besser“, so das Motto. Was man natürlich generell nicht so sagen kann, das ist kein vernünftiger Zugang. Was man sagen kann: Früher war es anders, ob es auch besser war, sei dahingestellt.

 

90minuten.at: In einem legendären Interview mit dem Spiegel im Jahr 1986 meine Happel, angesprochen auf seinen ehemaligen  Spieler Wolfram Wuttke: „Aber was hab ich von einem Wuttke, der nur mit dem Ball spielt, und ohne Ball kommt nichts. Ob er charakterlich den Anforderungen einer Spitzenmannschaft genügt, das ist immer noch die Frage.“ Zuvor meinte er öffentlich über Wuttke: "Dem hat man ins Gehirn geschissen."  So etwas wäre heutzutage undenkbar, oder?

Horak: Dass man sich kritisch äußert ist schon denkbar, aber nicht in dieser  Wortwahl. Interessant ist auch, dass das Interview mit dem Spiegel vermittelt, dass Happel viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, sich quasi nicht wirklich vorbereiten muss, er geht ins Casino und verspielt dort eine Menge Geld. Diese Art der privaten Entblößung könnte man sich heutzutage nicht mehr leisten. Happel hat sich Dinge erlaubt, die auch schon damals so eigentlich nicht zu sagen waren in der Öffentlichkeit. Ich kann mir keinen erfolgreichen Trainer mehr vorstellen, der auch nur annähernd imstande wäre, so ein Interview zu geben. Heute klingen alle Interviews gleich, das ist entsetzlich langweilig. Man hört gleiche Sätze zur Taktik, zu allen anderen Themen. Das ist eine total leergecoachte Sprache und dem Fußball eigentlich zutiefst zu wider. Insofern ist das ein Verlust. Happel war nicht austauschbar, war halt auch beleidigend und entblößend, aber es war die Differenz, die es ausgemacht hat. Das halte ich persönlich für viel interessanter.

 

90minuten.at: Happel war damals schon ungewöhnlich in seinen Aussagen. Warum konnte er sich so etwas leisten?

Horak: Wenn er nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte ihn kein Mensch danach gefragt. Zweitens war er ein Typ in einer Zeit, als man noch etwas sagen konnte und er hat noch mehr gesagt als es damals üblich war.

 

90minuten.at: Journalisten hat er eigentlich verachtet, mit ihnen aber auch gespielt ..

Horak: Es gibt natürlich jetzt auch eine Reihe von Trainern, die mit der schreibenden Zunft nicht zufrieden ist. Aber niemand würde sich hinreißen lassen, das auch nur annähernd direkt anzusprechen.

 

"Es braucht Figuren wie etwa Ibrahimovic, die ein gewisses Bewusstsein vertreten. Das hat Happel gewusst und auch schlauerweise betrieben." - Roman Horak über Ernst Happel

90minuten.at: Interessant in diesem Interview ist auch, dass sich Happel 1986 darüber beschwert, dass es im Fußball keine Typen mehr gebe. Diesen Satz hört man damals schon und jetzt auch noch. Hat der Fußball weniger Typen als früher?

Horak: So etwas hat man immer schon gelesen. Das hat es auch schon in den frühen 1930er-Jahren gegeben. Das ist nicht so neu. Was ich aber schon glaube ist, dass die Typen anders sind als früher. Die Typen werden jetzt vor allem aus Marketing-Sicht verkauft: Messi vs Ronaldo, es geht um Marketing, es geht um Geschichten. Das ist viel abstrakter als früher.

 

90minuten.at: Wäre Ernst Happel in der Gegenwart vorstellbar?

Horak: Nein. Weder als Spieler oder als Trainer. Ich könnte mir das nur sehr schwer vorstellen. Es gibt bewusst Trainer, die auf Differenzierung setzen, aber so in dem Extrem geht es nicht mehr. Es gäbe ihn so nicht.

 

90minuten.at: Was kann man von ihm dennoch für die Gegenwart und Zukunft mitnehmen?

Horak: Ganz viele Themen. Fußball ist ein Mannschaftssport und es braucht Typen,  nicht nur angepasste brave Maturanten, die machen den Fußball nicht aus. Es braucht  Figuren wie etwa Ibrahimovic, die ein gewisses Bewusstsein vertreten. Das hat Happel gewusst und auch schlauerweise betrieben.

 

90minuten.at: Glauben Sie, dass sein Grantler-Image daher zu einem Teil auch aufgesetzt war?

Horak: Wohl beides. Er hat es für sich gebraucht und er wird es auch bewusst eingesetzt haben. Er hat sich einfach nichts „geschissen“, ihm war alles egal. Der Fußball ist mittlerweile so hochgradig verwissenschaftlicht, da bleibt nur wenig Platz für diese Figuren, die den Unterschied machen, auch wenn der Fußball diese Figuren dringend braucht.

Danke für das Gespräch!

Live-Übertragung des Kaffee-Haus-Talks (Start: 13. 11., 19:45)

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