Scheiblehner: "Einen Anruf von Peter Schöttel würde ich nicht wegdrücken"
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Scheiblehner: "Einen Anruf von Peter Schöttel würde ich nicht wegdrücken"

Sechs Monate nach seinem Abgang aus Linz in Richtung Zürich spricht der Trainer-Legionär über die Hintergründe und zieht eine erste Zwischenbilanz - und erklärt, warum er bei einem Anruf von Peter Schöttel sicher abheben würde.

Seit Sommer coacht Gerald Scheiblehner die Grasshoppers Zürich. Der Oberösterreicher soll den Traditionsverein zurück zu alter Stärke führen.

Nach der Herbstsaison liegt GC auf dem vorletzten Rang. Doch der Blick auf die Tabelle trügt. Verletzungen, Sperren und fehlende Routine sorgten für enorme Leistungsschwankungen.

"Wir haben die drittjüngste Erstliga-Mannschaft in ganz Europa", verdeutlicht Scheiblehner im Interview mit 90minuten. Im Frühjahr will er mit seinem Team wesentlich stabiler agieren.

Außerdem gibt Scheiblehner Einblick über die Hintergründe seines Abgangs von Blau-Weiß Linz und erzählt, wie er nach der WM auf einen Anruf von Peter Schöttel reagieren würde:

90minuten: Sie sind nun seit einem halben Jahr Trainer in der Schweiz. Wie gefällt es Ihnen dort bisher?

Gerald Scheiblehner: Ich fühle mich in Zürich sehr wohl. Das Projekt bei den Grasshoppers ist sehr spannend, mit vielen jungen Spielern. Es ist ein Verein, der in der Vergangenheit große Erfolge gefeiert hat. In den letzten Jahren lief es aber nicht nach Wunsch. Mit Alain Sutter gibt es hier einen Sportdirektor, der große Ziele und einen langfristigen Plan hat. Er unterstützt mich seit dem ersten Tag enorm. Bislang fühle ich mich in meiner Entscheidung, in einem anderen Land als Trainer zu arbeiten, bestätigt.

90minuten: Konnten Sie sich schnell einleben?

Scheiblehner: Ich habe mich ausführlich auf meine erste Auslandsstation vorbereitet. Ich habe viel Zeit mit Johnny Ertl ins Fußball-Englisch investiert und Gespräche mit der Familie geführt. Für sie muss es ebenso passen und es müssen alle dahinter stehen. Beim Verein gab es im Sommer einen totalen Umbruch. Zahlreiche neue Gesichter kamen dazu, somit waren viele in einer ähnlichen Situation wie ich. Sportdirektor Sutter steht voll hinter mir und ist menschlich top. Insofern ist mir das Einleben relativ leicht gefallen, auch wenn unfassbar viel Arbeit zu tun war.

"Wir haben die drittjüngste Erstliga-Mannschaft in ganz Europa."

Gerald Scheiblehner über seine Grasshoppers

90minuten: Was kann man sich darunter konkret vorstellen?

Scheiblehner: Du musst enorm viele Gespräche führen. Mit Spielern, Physios, Teambetreuern und vielen mehr. Damit sie ein Bild davon haben, was du als Trainer möchtest und man sich besser kennenlernt. Zudem muss man sich all die Namen merken. Die Schweiz hat ja auch italienisch und französisch als Amtssprachen, insofern sind einem die Namen weniger geläufig als in Österreich. Weiters haben die Spieler taktisch noch nie in dem System gespielt, das wir etabliert haben. Für sie war Pressing eher ein Fremdwort. In der Schweiz ist das in der Ausbildung nur ein untergeordnetes Thema. Dort wird Ballbesitz stark forciert.

90minuten: Ein deutlicher Unterschied zu Österreich und sicher eine Herausforderung.

Scheiblehner: Der Vorteil ist, dass ich auf einem weißen Blatt Papier beginnen konnte. Herausfordernd war, dass wir nur vier Wochen Vorbereitung zur Verfügung hatten - und das mit vielen Spielern, die noch nie in einer ersten Liga gespielt haben. Wir haben die drittjüngste Erstliga-Mannschaft in ganz Europa.

90minuten: Wie fällt Ihre sportliche Bilanz nach der Herbstsaison aus?

Scheiblehner: Wir hatten bei Ergebnissen und Leistungen die erwarteten Schwankungen. Wir hatten zwei Ausreißer nach unten, konnten aber das erste Derby gegen den FC Zürich mit 3:0 und gegen Young Boys Bern mit 6:2 gewinnen. Wir mussten viele Spieler verletzt vorgeben, weil sie die Intensität im Training noch nicht vertragen haben. Insgesamt bekamen wir sechs rote Karten, da war erkennbar, dass die jungen Spieler teilweise noch überfordert waren. So haben wir nie zweimal hintereinander mit der selben Startelf gespielt.

Langsam pendelt es sich ein, wir entwickeln uns in die richtige Richtung. In der Tabelle haben wir Kontakt zum Mittelfeld, im Winter werden wir noch den einen oder anderen Spieler dazuholen, weil wir jetzt wissen, wo es noch Verstärkungen braucht. Mit mehr Tiefe im Kader werden wir stabiler durch den Rest der Saison gehen.

Scheiblehner kann auf die volle Unterstützung seines Sportdirektors Alain Sutter zählen
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Scheiblehner kann auf die volle Unterstützung seines Sportdirektors Alain Sutter zählen

90minuten: War der angesprochene Umbruch jene Herausforderung, die Sie an diesem Angebot so gereizt hat?

Scheiblehner: Ja, das war sicher ein großer Anreiz. Ich hatte gute Gespräche mit Sportdirektor Alain Sutter und den US-Investoren. Bei diesen habe ich gemerkt, dass es ein gemeinsames Ziel und eine klare Strategie gibt und ich ein wichtiger Teil davon sein kann. Das hat mich überzeugt, dass ich hier etwas entwickeln kann. Bisher haben sich meine dahingehenden Erwartungen erfüllt.

90minuten: Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie bei Kaderplanung und Spielidee?

Scheiblehner: Es ist ein gemeinsames Arbeiten von Sportdirektor Sutter und mir, wobei die Letztentscheidung in Sachen Transfers natürlich bei ihm liegt. Ich kann hier meine Art von Fußball zu hundert Prozent einbringen, weil wir voll auf einer Linie sind.

90minuten: Wie sieht ihr Arbeitsalltag in Zürich aus?

Scheiblehner: Wir haben hier eine klare Tagesstruktur. Die Spieler kommen um acht Uhr und gehen um 17 Uhr. Dazwischen gibt es vielfältige individuelle Programme mit Sportpsychologen, Ernährungs-Experten, Sprachkursen, Life-Kinetik und vielem mehr. Vor allem die jungen Spieler sollen den ganzen Tag eine sinnvolle Beschäftigung haben. Die Routiniers haben auch immer wieder freie Nachmittage. Das macht es für mich spannend, weil ich das bei Blau-Weiß Linz in dieser Form nicht hatte.

Insbesondere junge Spieler haben mit Aufmerksamkeit über eine längere Zeitspanne immer wieder Schwierigkeiten.

Scheiblehner über das Thema Handynutzung

90minuten: War das eine Horizonterweiterung für Sie, zu erfahren, in welchem Umfang in Zürich gearbeitet werden kann?

Scheiblehner: Auf jeden Fall. Es war schon bei den Gesprächen im Sommer ein Anliegen von Alain Sutter, eine solche Tagesstruktur zu schaffen. Da kann ich auch meine Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Spielern einbringen und mitgestalten - beispielsweise bei Themen wie Fokus über einen längeren Zeitraum und Handynutzung. Insbesondere junge Spieler haben mit Aufmerksamkeit über eine längere Zeitspanne immer wieder Schwierigkeiten.

90minuten: Sie sind nun schon seit geraumer Zeit im Trainergeschäft. Inwiefern hat sich das Thema Handynutzung in all den Jahren verändert?

Scheiblehner: Früher war es einfacher, das Handy in bestimmten Bereichen zu verbieten. Mittlerweile ist das Handy aber Teil des Trainingsalltags geworden. Die Spieler bekommen Dinge wie Feedbackbögen, Trainingspläne und taktische Inhalte auf ihr Handy. Deswegen gilt es, hier eine gute Balance und einen vernünftigen Umgang zu finden. Es geht dabei auch viel um Aufklärung.

90minuten: Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: Man kann also zusammenfassen, dass bei den Grasshoppers langfristige Entwicklung über dem kurzfristigen Erfolg steht?

Scheiblehner: Im Großen und Ganzen, ja. Im ersten Jahr gilt es, die Liga zu halten. Im zweiten Jahr wollen wir um die Top sechs mitspielen. Wir wollen den Verein und die Mannschaft von Jahr zu Jahr auf das nächste Level heben, um in absehbarer Zeit wieder um das internationale Geschäft mitzukämpfen.

Ich hatte zunehmend das Gefühl, nicht mehr den vollen Rückhalt zu genießen.

Scheiblehner über die Zeit vor seinem Abschied von Blau-Weiß Linz

90minuten: Der Liga-Erhalt ist auch bei ihrem Ex-Klub ein großes Thema. Ihr Wechsel von Blau-Weiß Linz in die Schweiz war relativ kurzfristig. Können Sie den Unmut, der dadurch bei vielen Fans damals entstanden ist, nachvollziehen?

Scheiblehner: Das kann ich gut nachvollziehen. Auch, weil die Fans viele Details nicht wissen können. Blau-Weiß hat mit meinem neuen Vertrag relativ lange gewartet, obwohl ich in meiner Zeit dort durchaus erfolgreich gearbeitet habe. Man ist dann irgendwann an einem Zeitpunkt angelangt, zu dem ich klar geäußert habe: Wenn es die Chance gibt, ins Ausland zu gehen, möchte ich diese nutzen können. Der Verein ist darauf eingegangen und wir haben uns auf eine Klausel verständigt. Diese habe ich im Sommer gezogen.

90minuten: Also ihrer Ansicht nach eine faire Angelegenheit, so wie ich Sie verstehe.

Scheiblehner: Blau-Weiß hat eine Ablöse erhalten und ich konnte die Chance für ein Auslands-Engagement nutzen. Insofern kann man schon von einer Win-Win-Situation sprechen. Der eine oder andere bei Blau-Weiß hat sich damals vielleicht auch eine Veränderung gewünscht.

90minuten: Sie haben Blau-Weiß Linz in den letzten Jahren entscheidend geprägt. Gibt es etwas, bei dem Sie sagen: Das hätte ich gerne noch zu Ende geführt?

Scheiblehner: Ich war der Überzeugung, dass noch mehr möglich gewesen wäre, wenn man die richtigen Schlüsse zieht. Sportdirektor Christoph Schösswendter und auch die Mannschaft haben mich in dieser Zeit stets unterstützt. Grundsätzlich hätte ich mir gut vorstellen können, noch länger in Linz zu bleiben. Dafür hätte es im Verein aber eine bessere Energie und den Glauben daran gebraucht, dass noch mehr möglich ist. Ich hatte zunehmend das Gefühl, nicht mehr den vollen Rückhalt zu genießen - und auch die Anerkennung, die man sich nach dieser gemeinsamen Entwicklung vielleicht erwartet, war nicht mehr in diesem Ausmaß spürbar.

Scheiblehner hofft auf den "Köllner-Effekt" bei Blau-Weiß Linz
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Scheiblehner hofft auf den "Köllner-Effekt" bei Blau-Weiß Linz

90minuten: Ihr Nachfolger Mitja Mörec musste Ende November gehen. War der Übergang nach Ihrer Ära vielleicht schwieriger als gedacht?

Scheiblehner: Es ist immer herausfordernd, nach einer erfolgreichen Zeit der nächste Trainer zu sein. Er hat eine funktionierende Mannschaft vorgefunden. Es spielen dabei viele Komponenten mit, auch was den Umgang innerhalb des Vereins angeht. Ich denke, dass nie der Trainer alleine schuld ist. Am Ende ist es aber meist so, dass der Trainer gehen muss. Mitja ist fachlich und menschlich hervorragend und Scheitern gehört zum Trainerleben auch dazu. Es hat mir für ihn sehr leid getan. Er wird ganz sicher wieder eine Chance bekommen.

90minuten: Mit Michael Köllner wurde nun ein Nachfolger gefunden. Wie gut kennen sie ihn? Kann er der Richtige für die Mission Klassenerhalt sein?

Scheiblehner: Ich bin ihm einmal bei einem Testspiel begegnet. Da habe ich ihn als sehr offen und freundlich kennengelernt. Als Trainer kenne ich ihn aber zu wenig, um das beurteilen zu können. Seine Vita zieren allerdings schon größere Vereine als Blau-Weiß, dort war er sehr erfolgreich. Nach eineinhalb Jahren Pause ist er sicher auch sehr hungrig, was immer eine gute Voraussetzung für Erfolg ist. Ich wünsche mir, dass er es schafft, weil mir Blau-Weiß sehr wichtig ist.

90minuten: Finden Sie es gut, dass Blau-Weiß über den Tellerrand geblickt hat und sich nicht für eine auf der Hand liegende Variante wie Thomas Silberberger entschieden hat?

Scheiblehner: Das wird man erst im Nachhinein wirklich sagen können. Christoph Schösswendter hat sich sicher mit jedem Kandidaten im Detail beschäftigt. Er hat in seiner bisherigen Zeit als Sportdirektor viele Erfahrungen gesammelt und weiß, was die Mannschaft braucht. Ich wünsche Blau-Weiß jedenfalls, dass sie unter dem neuen Trainer erfolgreich sein werden.

Ich würde auf jeden Fall abheben, wir hätten sicher ein gutes Gespräch.

Scheiblehner über einen möglichen Anruf von ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel nach der WM

90minuten: Thomas Silberberger bleibt somit bei der Admira, wo es finanziell immer enger wird. Damit ist die Admira in der 2. Liga leider bei weitem nicht alleine. Sie kennen die 2. Liga selbst auch sehr gut. Hat sie in dieser Form noch eine Zukunft?

Scheiblehner: Grundsätzlich kann man zwar schon von einer guten Entwicklung sprechen, weil sich viele Vereine professionalisiert haben. Aber in dieser Form sehe ich für die 2. Liga keine Zukunft. Aus meiner Sicht wird sie reduziert werden müssen. Finanziell ist sie für die Klubs sehr belastend. Geringen Einnahmen stehen verhältnismäßig hohe Aufwände gegenüber. Man sollte nicht grundlegend von der derzeitigen Idee abrücken, aber eine Adaptierung halte ich für notwendig. Man muss sie die Liga für die Klubs finanziell stemmbar machen.

90minuten: Kommen wir noch zu Ihrer persönlichen Zukunft: Welche Ziele haben Sie sich für Ihre weitere Trainerkarriere gesteckt?

Scheiblehner: Ich möchte mich nun einmal im Ausland beweisen und möglichst viele Erfahrungen sammeln. Ich bin glücklich, wenn ich bei einem Verein mit einem guten Umfeld, einer klaren Strategie und klaren Zielen arbeiten kann. Mein Ziel ist es, Titel zu gewinnen.

90minuten: Würde Sie perspektivisch auch die Arbeit bei einem Nationalteam reizen?

Scheiblehner: Perspektivisch würde mich das durchaus reizen, wenn man aus Energie-Gründen nicht mehr täglich auf dem Platz stehen möchte. Seine Energie stattdessen auf die Lehrgänge zu verteilen und mit den besten Spielern eines Landes zu arbeiten, ist sicher eine spannende Aufgabe. Aktuell ist das für mich aber kein Thema.

90minuten: Der Posten beim ÖFB-Team könnte nach der WM frei werden. Sie würden einen Anruf Peter Schöttel vorerst also wegdrücken?

Scheiblehner: Ich würde auf jeden Fall abheben, wir hätten sicher ein gutes Gespräch. Vielleicht ruft er mich wirklich einmal an. Aber sicher nicht wegen des Postens als Teamchef (lacht). Da gibt es andere Kandidaten.

Das erste Ziel sollte sein, die Gruppe zu überstehen. Das wird schwer genug.

Scheiblehner über das ÖFB-Team bei der WM

90minuten: Apropos WM: Was trauen Sie der Mannschaft von Ralf Rangnick bei der Endrunde zu?

Scheiblehner: Da bin ich vorsichtig. Wir hatten bei der letzten EM eine große Euphorie, da war ich vom Abschneiden aber ein wenig enttäuscht. Ich habe das nicht so positiv gesehen. Die Vorrunde war sehr gut. In den entscheidenden Spielen waren wir aber nicht auf den Punkt bereit. Das erste Ziel sollte sein, die Gruppe zu überstehen. Das wird schwer genug - wie bei jeder WM. Wenn man das schafft, wäre der nächste Step, in Entscheidungsspielen erfolgreicher zu sein. Das traue ich dem Team durchaus zu. Als Österreich darf man aber nie bitter enttäuscht sein, wenn man die Vorrunde nicht übersteht, weil so viele starke Mannschaften dabei sind. Man muss schon bescheiden bleiben und die Dinge richtig einordnen.

90minuten: Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich aus sportlicher Sicht vom Christkind?

Scheiblehner: Dass wir mit Grasshoppers Zürich die Liga halten und am Ende der Rückrunde als Überraschungsmannschaft gesehen werden.

90minuten: Vielen Dank für das Gespräch!

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