Michael Parensen: "Ergebnisse sind nicht die einzige Entscheidungsbasis"
Der neue Sturm-Sportchef hat schon einen Kantersieg und den ersten Dreier in der Champions League zu verbuchen. Ergebnisse werden aber keinen Einfluss auf die anstehende Trainerentscheidung haben. Das und vieles mehr erzählt er im Interview.
Die erste Veränderung, die beim neuen Sturm-Sportdirektor sichtbar ist, ist das Büro. Michael Parensen sitzt nicht in den Räumlichkeiten, die Andreas Schicker genutzt hat. Eine bewusste Entscheidung? "Nein, das wurde mir zugeteilt, der Raum war frei", lacht der 38-Jährige, den schon alle "Micha" nennen.
Man spürt, dass gerade viel los ist, rund um den neuen sportlich Verantwortlichen in Graz-Messendorf. Kurz vor diesem Gespräch kam Abwehrspieler Dimitri Lavalee aus dem Zimmer. Kurz nach dem Interview war Parensen schon wieder in Richtung Trainerbüros unterwegs. Es gilt sich einen Überblick zu verschaffen, beim neuen Arbeitgeber.
90minuten erzählt der frühere Publikumsliebling von Union Berlin, ob es möglich ist, noch einmal eine solche Verbindung mit einem Klub aufzubauen, wieso er bei Sturm sehr behutsam vorgehen muss und welche drei Eigenschaften ihn am besten beschreiben.
Wie intensiv er sich schon mit der "Zweier" und den Sturm-Frauen auseinandergesetzt hat, welchen Typ er als technischen Direktor sucht und warum er sich mit einem Traditionsverein leichter tut als mit Red Bull oder der TSG Hoffenheim, erzählt Parensen auch. Und natürlich schwebt die Frage aller Fragen konstant im Raum: Wie hält er es mit der Trainer-Entscheidung bei Sturm?
90minuten: Als der Name "Parensen" das erste Mal in Graz gefallen ist, ist mir das Buch von Christoph Biermann eingefallen. "Wir werden ewig leben. Mein unglaubliches Jahr mit dem 1. FC Union Berlin". Der Autor begleitete Union nach dem Aufstieg in die Bundesliga 2019 eine ganze Saison lang hautnah. Dir wird in dem Buch – es ging um den Status des Publikumslieblings beim Klub – folgender Satz zugeschrieben: "Die Menschen sind Sinnsucher. Man arbeitet für etwas, das nachwirkt, und bei mir sehen sie einen, der sich unserem Klub verschrieben hat." Wie verschreibt man sich einem Fußballklub?
Michael Parensen: Wichtig ist, sehr tief einzutauchen. Die Personen, die für den Klub arbeiten, die Fans sind, so gut kennenzulernen, dass man weiß, wo ihre Nöte und Sorgen, aber auch ihre Hoffnungen und Sehnsüchte sind. Es bedeutet, zu verstehen, warum sie zu diesem Verein halten, warum sie ins Stadion gehen und warum viele jedes Wochenende zu Auswärtsspielen fahren. Das muss man begreifen und es so für sich selbst ableiten, dass man als Spieler auf dem Platz alles für diese Menschen lässt und sie in ihrem Suchen und Bestreben bestärkt, damit sie glücklich aus dem Wochenende gehen.
90minuten: Eine Spielerbiografie und eine Verbindung zu einem Klub wie du es bei Union hattest, ist selten geworden. Ist es möglich, sich einem weiteren Klub in einer Managementfunktion noch einmal so zu verschreiben wie du es in Köpenick getan hast?
Parensen: Ich glaube schon, dass das möglich ist. Ich kann jetzt zwar nicht mehr grätschen, aber ich kann alltäglich im Verein und seinem Umfeld mein Bestes geben. Ich kann versuchen die Menschen zu verstehen. Reinhören, wie sie ticken und zuhören, was sie brauchen, was sie sich vom Klub erwarten. Es wird Zeit in Anspruch nehmen, das geht nicht von heute auf morgen, aber ich bin überzeugt davon, dass es möglich ist.
Ich tue mich leichter in einem Verein zu arbeiten, der in der Gesellschaft verankert ist und wo die Leute in der Geschäftsstelle einen emotionalen Bezug zu ihrem Job und ihrem Klub haben.
90minuten: Wie wichtig war es für dich, dass dein nächster Arbeitgeber nach Union Berlin hinsichtlich Fanszene, Tradition oder Verankerung in der Stadt und der Region ähnlich funktioniert? Oder wäre es für dich genauso gut möglich, bei Red Bull oder der TSG Hoffenheim zu arbeiten?
Parensen: Grundsätzlich möglich wäre es schon. Aber trotzdem habe ich genau das gesucht, was es bei Sturm gibt. Ich tue mich leichter in einem Verein zu arbeiten, der in der Gesellschaft verankert ist und wo die Leute in der Geschäftsstelle einen emotionalen Bezug zu ihrem Job und ihrem Klub haben. Ich habe das mein ganzes Leben so kennengelernt. In Berlin, Köln und Dortmund, aber schon davor als Kind in unserem Dorf, wo ich aufgewachsen bin. Da gab es den Schützenverein, die freiwillige Feuerwehr und den Fußballverein, der alle im Ort verbunden hat. Das steckt in mir, so habe ich mich entwickelt, so wurde ich sozialisiert. Deswegen habe ich nach einem Umfeld gesucht, das ähnlich emotionalisiert, wie das bei meinen vorherigen Stationen der Fall war.
90minuten: Du bist nach Graz gekommen und dein neuer Klub hat sich gleich einmal mit 7:0 beim neuen Sportchef vorgestellt, dann kam die Champions League und prompt auch der erste Sieg im laufenden Bewerb. Was kannst du nach diesen zwei Spielen schon mitnehmen, wie fühlt sich der "Zustand" an, in Graz?
Parensen: So direkt nach diesen Spielen ist das schon so: wow. Und es ist eine gewisse Erleichterung zu spüren, denn das könnte auch anders laufen und dann sind plötzlich viel mehr Themen da als so. Wir wissen alle, Ergebnisse überdecken im Fußball doch so einiges. Diese Spiele haben mir die erste Woche sehr viel einfacher gemacht. Auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass mein Impact darauf ungefähr bei Null ist. Die Basis wurde vorher gelegt. Es ist schön und ich freue mich darüber, aber in erster Linie ist es ein Ansporn mich noch mehr und noch schneller einzuarbeiten, um diese erfolgreiche Zeit weiter zu verlängern.
Hier bei Sturm gilt es eher mit Bedacht vorzugehen, um nichts kaputt zu machen was gut funktioniert.
90minuten: Du übernimmst in Graz als Nachfolger von Andreas Schicker, der gemeinsam mit Christian Ilzer die erfolgreichste Ära von Sturm seit der Osim-Zeit zur Jahrtausendwende geprägt hat. Ist es schwieriger in solche Fußstapfen zu treten oder einen Klub zu übernehmen, der am Boden liegt?
Parensen: Das ist nicht leicht zu beantworten, beides hat sein Für und Wider. Wenn es wo nicht läuft, kann man relativ schnell mit kleinen Hebeln Erfolge erzielen. Hier bei Sturm gilt es eher mit Bedacht vorzugehen, um nichts kaputt zu machen was gut funktioniert. Eine erfolgreiche Zeit davor erleichtert aber in jedem Fall das Hineinkommen. Man ist nicht so unter Vollstrom, es gibt eine Basis, auf der aufgebaut werden kann. Ob jetzt das eine oder das andere unbedingt einfacher ist, kann ich schwer sagen, so wie jetzt bei mir ist es definitiv schöner.
Du hast bei deiner Antritts-Pressekonferenz gesagt, du wirst die Arbeit von Andreas Schicker fortsetzen, aber auf deine Art, die sicher etwas anders ist. Inwiefern bist du anders als Schicker?
Parensen: Es ist schwierig für mich einzuschätzen, inwiefern ich mich von meinem Vorgänger unterscheide, weil ich ihn persönlich nicht so gut kenne. Ich weiß nicht, wie er intern gewirkt hat, wie er mit den Menschen umgegangen ist.
90minuten: Dann versuchen wir es so: Wenn du dich in drei Wörtern beschreiben musst, wie lauten die?
Parensen: Bodenständig, leidenschaftlich und kommunikativ.
Ergebnisse sind im Fußball total wichtig. Das andere ist aber die Art zu arbeiten, die Art des Miteinanders. Das ist entscheidend und dass muss man trennen.
90minuten: Die Bestellungen des technischen Direktors und des Trainers sind erste wichtige Schritte, die anstehen. Welchen zeitlichen Rahmen setzt du dir für diese beiden Entscheidungen?
Parensen: In der Trainerfrage gibt es einen klaren Cut. Bis zum Spiel gegen Lille ist Jürgen Säumel auf der Bank. Danach gibt es einen Zeitrahmen, der Spielraum für Weitermachen oder das Bestellen eines anderen Trainers lässt.
90minuten: Aber bis zur Wintervorbereitung muss die Entscheidung gefallen sein, oder?
Parensen: Ja, genau, nach dem letzten Spiel machen wir das. Was den technischen Direktor betrifft, möchte ich mir zuerst einen Überblick verschaffen. Wie soll das Profil der Position ausgestaltet sein. Paul Pajduch hatte konkret definierte Aufgaben, ich muss mir überlegen, ob ich das genauso haben will. Da lasse ich mir aber Zeit, da gibt es keinen Druck. Natürlich ist inzwischen sehr viel Arbeit allein bei mir, aber ich setze mir keine Deadline für diese Verpflichtung.
90minuten: Unabhängig davon, würde ich davon ausgehen, dass der technische Direktor, dein wichtigster Mitarbeiter, ein enger Vertrauter von dir sein muss. Sehe ich das richtig?
Parensen: Ja, definitiv wird das so jemand sein. Das bedeutet nicht automatisch, dass dass mir diese Person schon aus der Vergangenheit komplett vertraut sein muss – dieses Vertrauen kann man auch bilden.
90minuten: Und wie schwierig ist jetzt diese Trainerfrage? Der Interimstrainer gewinnt 7:0, holt den ersten Sieg in der Champions League und hat eine recht günstige Auslosung für die verbleibenden Meisterschaftsspiele. Der Präsident sagt in jedem Statement, wie sehr es ihm gefallen würde, aus der Interims- eine Dauerlösung zu machen. Jürgen Säumel ist dazu bei den Fans sehr beliebt. Wäre es nicht äußerst schwer, diesen Mann wieder zurück zu Sturm II zu schicken?
Parensen: Ergebnisse sind im Fußball total wichtig. Das andere ist aber die Art zu arbeiten, die Art des Miteinanders. Das ist entscheidend und dass muss man trennen. Das ist ein bisschen anders als beim Technischen Direktor, der ein absoluter Vertrauensmann sein wird. Aber trotzdem muss es zusammenpassen. Professionell und persönlich. Das sind die Dinge, die ich bewerten muss und die nur ich bewerten kann. Das können die Leute von außen nicht einschätzen, die sehen nur die Ergebnisse. Deswegen würde es zwar in dem beschriebenen Szenario sehr schwierig zu argumentieren sein, nicht mit Jürgen Säumel weiterzumachen, dennoch treffe ich diese Entscheidung auf der Basis meiner eigenen Erkenntnisse und nicht ausschließlich auf der Basis der Ergebnisse.
90minuten: Sturm ist nicht nur die erste Mannschaft, Sturm II und die Frauen sind ebenfalls Teil des Vereins. Wie sehr hast du dir zu diesen Teams schon einen Überblick verschaffen können?
Parensen: Sturm II habe ich schon einmal live gesehen und jetzt die Youth League-Begegnung gegen Girona. Zusätzlich haben wir aktuell die Verzahnung mit dem Interims-Trainerteam von der zweiten Mannschaft. Das ergibt insgesamt für die kurze Zeit schon einen guten Überblick und ich bin gut im Bilde. Von den Frauen habe ich derzeit einige Informationen gesammelt. Ich habe einen groben Überblick zu den Problemen mit Spiel- und Trainingsorten, das möchte ich jedenfalls in den nächsten Wochen noch vertiefen. Es laufen auch alle Teams und die Akademie letztinstanzlich bei mir zusammen.
Wenn die Menschen am letzten Spieltag aus dem Stadion hinausgehen, und sagen: Das war eine Saison, in der wir ganz viel gesehen haben, was Sturm Graz ausmacht.
90minuten: Stichwort Akademie. Die ist aktuell ein Kooperationsprojekt mit dem steirischen Fußballverband. Andreas Schicker hat immer wieder durchklingen lassen, mit dem geplanten neuen Trainingszentrum sollte angestrebt werden, dass Sturm wieder eine eigene Akademie betreibt. Wie stehst du zu dem Thema?
Parensen: Da muss ich mich erst weiter reinarbeiten. Das Thema Akademie kommt jetzt so nach und nach. Ein Termin mit Dietmar Pegam und den Trainern ist geplant. Das Konstrukt insgesamt kenne ich jetzt zwar, aber ich muss mir erst eine abschließende Meinung dazu bilden. So etwas kenne ich aus Deutschland vergleichbar nicht, was das alles bedeutet, muss ich erst komplett erfassen, bevor ich dazu eine Entscheidung treffe. Die Durchlässigkeit aus dem Jugendbereich zu erhöhen ist für mich ein Anliegen. Inwiefern dieses Modell dazu Sinn macht und wie das wirtschaftlich ist, wird sich zeigen.
90minuten: Es ist nicht mehr lange hin, bis zum Jänner-Transferfenster. Die Gerüchte rund um die üblichen Verdächtigen wie Otar Kiteishvili beginnen schon wieder zu florieren. Wie groß siehst du die Gefahr, dass Sturm im Winter den einen oder anderen Leistungsträger verlieren könnte?
Parensen: Erfolgreiche Vereine bringen spannende Spieler hervor, die für andere Klubs interessant sind. Die Gefahr, wenn man das so bezeichnen möchte, ist deshalb immer gegeben. Aktuell sehe ich aber keine Anzeichen, dass sich am Kader im Winter etwas ändert.
90minuten: Es gibt doch einige Spieler abseits der Leihspieler, deren Vertrag im Juni 2025 ausläuft. Darunter auch der von Abwehrchef Gregory Wüthrich. Wann wirst du mit diesen Spielern anfangen konkret über neue Arbeitspapiere zu reden?
Parensen: Im Austausch bin ich mit den jeweiligen Spielern und ihren Beratern bereits jetzt, oder ich werde in den kommenden Tagen Kontakt aufnehmen. Konkret wird es zeitnah nach dem letzten Spiel in der Champions League werden. Auch in Hinblick darauf, dass die Spieler, deren Verträge auslaufen, ab Jänner mit anderen Vereinen sprechen können. Wir werden sehen, was am Ende dabei herauskommt.
Wir blicken in die Zukunft. Es ist Mai 2025, die letzte Bundesligarunde ist gespielt und es geht in die Sommerpause. Wann war es ein gutes erstes Halbjahr für Michael Parensen in Graz?
Parensen: Wenn die Menschen am letzten Spieltag aus dem Stadion hinausgehen, und sagen: Das war eine Saison, in der wir ganz viel gesehen haben, was Sturm Graz ausmacht.