Fuhrmann: "Frauenfußball ist eine gesellschaftliche Verantwortung"
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Fuhrmann: "Frauenfußball ist eine gesellschaftliche Verantwortung"

Sie feierte große Erfolge beim ÖFB, muss sich aber auch mit Kritik zu ihrer Zeit auseinandersetzen. Sie kommt gerade mit vielen Eindrücken von der EM in der Schweiz. Und es geht freilich um den Frauenfußball insgesamt. Irene Fuhrmann im Gespräch.

Irene Fuhrmann geht gerne früh schlafen und liebt Bewegung im Grünen. Beides kam in den letzten Wochen ein wenig zu kurz. Sie war für die UEFA bei der Frauen-EM in der Schweiz im Einsatz. "Die vielen Verlängerungen haben meinen Rhythmus ordentlich durcheinandergebracht", erzählt die Ex-Teamchefin der ÖFB-Frauen beim morgendlichen Interviewtermin im Kaffeehaus.

Von 2020 bis 2024 bekleidete die Wienerin, die mittlerweile in Gablitz lebt, das höchste Amt im heimischen Frauenfußball. Ihr größter Erfolg war zweifelsohne das Erreichen des Viertelfinales bei der EM 2022 in England. Fuhrmann blickt insgesamt positiv auf ihre Ära zurück. "Wir haben in vier Jahren nur in drei Spielen nicht im Soll gespielt", sagt die 44-Jährige.

Fuhrmann, die aktuell als UEFA Instructor und Technical Observer arbeitet, wirkt entspannt. Sie lasse sich gerade treiben und die Dinge auf sich zukommen, erzählt sie. Im Gespräch mit 90minuten berichtet sie außerdem über ihre Eindrücke von der gerade zu Ende gegangenen EM in der Schweiz, wieso die englische Liga derzeit über allen anderen steht und warum die langsame Entwicklung des Frauenfußballs auch Vorteile gehabt hat.

Fuhrmann begegnet der Kritik, die zum letzten Jahr ihrer Zeit als Nationaltrainerin geübt wird, beschreibt ihre Gefühlslage damals und warum sie sich im ÖFB nicht so durchsetzen konnte, wie sie es gern gewollt hätte. Ein Trainerinnenjob würde sie wieder reizen, aber: "Man muss wissen, was man kann und was man nicht kann."

90minuten: Sie kommen gerade von einem Trainer:innenkongress in Leipzig, wo Sie auch Vortragende waren. Worüber haben Sie gesprochen?

Irene Fuhrmann: Der Veranstalter, der Bund Deutscher Fußballlehrer, hat bei der UEFA um einen Beitrag zur Women’s Champions League angefragt. Es ging um eine Trendanalyse und den Transfer in die Trainingspraxis. Die UEFA hat mich gefragt, ob ich das machen möchte. Es war eine richtig große Bühne, eine lässige Veranstaltung mit einem sehr breiten Themenspektrum. 

90minuten: Davor waren Sie bei der Frauen-EM in der Schweiz. Wie war Ihr Eindruck vom Turnier?

Fuhrmann: Ich war in Summe 20 Tage vor Ort und habe elf Spiele live gesehen. Bei den meisten dieser Spiele habe ich für die UEFA an den technisch-taktischen Berichten mitgearbeitet. Ich war vom Turnier extrem positiv überrascht, meine Erwartungen wurden absolut übertroffen. Nicht nur sportlich, auch hinsichtlich der Organisation und der Atmosphäre auf den Straßen und in den Stadien. Es ist immer wieder unfassbar zu sehen, welche Kraft so ein Turnier entwickeln kann. Es gab tolle Geschichten zu vielen Nationen und das Gastgeberland ist über sich hinausgewachsen, was so einer Veranstaltung immer guttut.

90minuten: Hat Sie das sportliche Niveau überrascht oder ist das mittlerweile das Level, das der Frauenfußball einfach hat?

Fuhrmann: Vieles ist so gekommen, wie ich es mir erwartet habe. Das Niveau hat mich nicht überrascht. Was mich überrascht hat, war, wie eng das Ganze inzwischen geworden ist. Man muss sich nur die Zahl der Verlängerungen in der K.O.-Phase anschauen. Am Ende waren mit England und Spanien die beiden Teams im Finale, die den qualitativ breitesten Kader hatten. Beide konnten im Laufe der Spiele mit den Auswechslungen richtig Impact bringen.

Am Ende des Tages ist es eine gesellschaftliche Verantwortung, den Mädchen und Frauen im Fußball annähernd gleiche Rahmenbedingungen wie den Jungs und Männern zu geben, damit sie das tun können, was sie lieben.

Irene Fuhrmann

90minuten: Die EM in der Schweiz brachte einen Zuschauerrekord, die Berichterstattung war umfangreich und die Stimmung sehr gut. Immer wieder rund um diese Großereignisse wird der Frauenfußball sichtbar. Sehen Sie einen Fortschritt hinsichtlich einer nachhaltigen Etablierung in der öffentlichen Wahrnehmung oder ist und bleibt das ein Auf und Ab rund um Turniere?

Fuhrmann: Ich bin gespannt, wie die Schweiz es auf ihre Liga ummünzen kann. Dort gibt es – vergleichbar mit Österreich - wenig Zuschauerinteresse und die Rahmenbedingungen sind verbesserungswürdig. Das grundsätzliche Phänomen ist bekannt und es beschränkt sich nicht auf den Frauenfußball. Wenn in Österreich die Handballer ein Turnier spielen, ist plötzlich großes Interesse da, den Ligabetrieb verfolgen dann wieder nur ganz wenige. Im Frauenfußball war die einzige Ausnahme das Turnier in England 2022, weil die im Vorfeld schon investiert haben. Dort bricht auch die Liga alle Rekorde, man muss sich nur den aktuellen Champions-League-Titelträger Arsenal anschauen. England hat in der Infrastruktur und der personellen Ausstattung durch diese Investitionen der Vergangenheit jetzt einen großen Vorsprung.

90minuten: Die wirtschaftliche Schere zwischen Männern und Frauen geht im Fußball immer noch sehr weit auseinander. Der Frauenfußball kann sich nicht auf dieselbe Art und Weise selbst tragen, wie die Klubs bei den Männern. Wo sehen Sie einen Hebel oder wo würden Sie ansetzen, um zum Beispiel in Österreich zumindest ein Level zu erreichen, damit die Klubs einen durchgängigen Profibetrieb herstellen können?

Fuhrmann: Es muss eine bewusste Entscheidung und ein Bekenntnis dazu in den großen Vereinen geben. Wie hat denn das gerade erwähnte Beispiel England den Stellenwert erreicht, den man dort sieht? Alle namhaften Klubs haben sich bewusst dazu entscheiden, in den Frauenfußball zu investieren. Wissend, dass es eine Investition ist und kein Nullsummenspiel. Am Ende des Tages ist es eine gesellschaftliche Verantwortung, den Mädchen und Frauen im Fußball annähernd gleiche Rahmenbedingungen wie den Jungs und Männern zu geben, damit sie das tun können, was sie lieben. Die Vereine hätten dadurch auch die Chance, ihre Fanbase zu erweitern, diverser zu werden, andere Gesellschaftsschichten anzusprechen und somit ein breiteres Publikum an den Verein zu binden.

90minuten: Das heißt unter dem Strich: Der Frauenfußball muss strukturell top-down unterstützt werden, um überhaupt erst in die Position zu kommen, selbst professionell arbeiten zu können.

Fuhrmann: Ja, step by step. Arsenal ist für mich das beste Beispiel. Die füllen auf einmal ihr Heimstadion und in der nächsten Saison spielen sie meines Wissens nach alle Spiele im Emirates. Es dauert, aber man muss es ankurbeln. Dann kommen mediale Berichte und TV-Rechte, die Geld bringen, dadurch wird es auch interessant für Sponsoren und so kann das Werkl anfangen zu laufen. Am Anfang ist es wie in jedem Unternehmen. Du musst investieren, du musst einen Input bringen. Wenn du es richtig machst, kommt auch ein Output heraus.

90minuten: Glauben Sie, dass Figuren wie Chloe Kelly oder Aitana Bonmati, also Frauen mit einem Starfaktor und Strahlkraft, dem Frauenfußball noch einmal einen Schub hinsichtlich Aufmerksamkeit geben?

Fuhrmann: Ganz sicher. Es geht immer darum, Vorbilder zu haben, denen die Jungen nacheifern können. If you can see it, you can be it. Wenn eine Sichtbarkeit geschaffen ist, hilft sie ungemein. Wir haben das in Österreich selbst erlebt. Vor der EM 2017, ich war damals unter anderem auch Trainerin in der ÖFB-Frauen-Akademie, haben mir die Mädchen immer männliche Vorbilder genannt. Nach dem Halbfinaleinzug von Österreich beim Turnier haben sie sich die Zöpfe von Laura Feiersinger gemacht, mit denen sie immer gespielt hat – um nur ein Beispiel zu nennen.

90minuten: Wie kann man es schaffen, von den Vergleichen zwischen den Geschlechtern wegzukommen? Ein 1:7 der Schweizerinnen gegen ein U15-Team der Männer hat im Vorfeld der EM für einen unrühmlichen Höhepunkt mit unterirdischen Kommentaren in diversen Foren gesorgt. Beim Skifahren macht das keiner, auch bei anderen Ballsportarten nicht.

Fuhrmann: Es wurde ja sogar wissenschaftlich aufbereitet, wie die Größe der Felder und der Tore aussehen müsste, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Aber das ist nicht der richtige Weg. Wenn das für den Frauenfußball geändert würde, nimmt man vielen Mädchen die Chance, überhaupt mitmachen zu können, weil es dann kaum noch Spielstätten für sie gäbe. Wir müssen zu der Erkenntnis kommen: Der Fußball ist für alle, mit der ganz klaren Akzeptanz, dass es physisch nie das Gleiche sein kann. Oft kommt auch das Thema, wie langsam das Spiel ist. Wenn wir uns überlegen, wie jung der Frauenfußball ist, wie viele Spielerinnen auch unter den EM-Teilnehmerinnen noch immer keine Profis sind, wie ausbaufähig die Trainingsmöglichkeiten teilweise immer noch sind – dann hat der Sport in sehr kurzer Zeit einen großen Schritt gemacht. Und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.

90minuten: Es war auffällig, dass bei der Frauen-EM die Regenbogenbinde bei den Kapitäninnen allgegenwärtig war. Bei den Männern wird sie von den Verbänden nicht gewollt und die FIFA drohte bei der letzten WM sogar mit Strafen. Einige Dutzend Spielerinnen leben dazu offen lesbisch, bi oder queer. Wieso ist das im Frauenfußball alles selbstverständlich und im Männerfußball noch immer ein komplettes Tabu?

Fuhrmann: Ich habe nicht die eine Erklärung dafür. Ich bin der Meinung, einer der Gründe liegt im stetigen, aber langsamen, Wachsen des Frauenfußballs. In dieser Community ist das immer alles offen gelebt worden. Was ich mit langsam meine: Zu Beginn gab es kaum Öffentlichkeit, die Spiele fanden vor Freunden und Familien statt. Erst nach und nach kamen Leute von außerhalb ohne direkten Bezug zu Spielerinnen und Staff dazu. Die haben ein aufgeschlossenes Umfeld vorgefunden und wurden mit sensibilisiert. Wenn man zum Männerfußball dazukommt, findet man Rahmenbedingungen vor, wo es noch immer eine Reihe von Themen gibt, die einen ungleich größeren Mut erfordern, um sich zum Beispiel als homosexuell zu outen.

90minuten: Die globale politische Entwicklung zeigt in vielen Teilen der Welt einen Backlash in diesem Bereich. Haben Sie Sorge, das könnte auch auf den Frauenfußball und die angesprochene Community überschwappen?

Fuhrmann: Die Community hat eine unheimliche Stärke entwickelt. Ich möchte es aber nicht ausschließen, dass es in einzelnen Ländern schwieriger werden könnte. Aber nicht aus der Community heraus, sondern nur wegen politischer Rahmenbedingungen.

Der Ralf ist so klar in seinen Aussagen und weiß, was er will, haben alle gesagt. Ich war auch klar, nur es wurde ganz anders eingeordnet und bewertet.

Irene Fuhrmann übers Durchsetzen beim ÖFB

90minuten: "Es wäre verfehlt, dieses Scheitern nur sportlich zu erklären. Denn hinter den dürftigen Auftritten im Herbst 2024 und den Playoff-Enttäuschungen steckt mehr: ein verlorener Umbruch, ein stagnierendes System – und die Frage, ob im österreichischen Frauenfußball zu lange auf Vergangenes gesetzt wurde, während andere längst neue Wege gehen."

Das steht im "Standard" zum Status Quo des heimischen Frauenfußballs und dem Verpassen der EM im Nachbarland. Können Sie diese Bewertung nachvollziehen?

Fuhrmann: Ich sage dazu so viel: 2022, in Zeiten des Erfolgs, bin ich im ÖFB mit den Entscheidungsträgern am Tisch gesessen und habe darauf hingewiesen, dass wir den Gang der Zeit nicht verschlafen dürfen. Ich habe zum Beispiel mehr Ressourcen für den Staff gefordert. Der Verband hat hinsichtlich der Rahmenbedingungen sicher einige sinnvolle Maßnahmen nicht durchgeführt, die es gebraucht hätte. Spannend habe ich gefunden, dass mein Nachfolger, als er seinen Job im Jänner 2025 angefangen hat, sofort eine hauptberufliche Assistentin bekommen hat. Ich hinterfrage mich da durchaus selbst, hinsichtlich meiner Kraft als Teamchefin und meinem Durchsetzungsvermögen. 

90minuten: An wem sind Sie mit Ihren Forderungen im Verband gescheitert?

Fuhrmann: Anscheinend an mir selbst, weil ich mich nicht durchsetzen konnte.

90minuten: Im ÖFB zuständig war und ist Sportdirektor Peter Schöttel.

Fuhrmann: Ja, wobei er nicht die finanziellen Entscheidungen trifft, das macht die Geschäftsführung.

90minuten: Hat dadurch, dass Sie sehr lange im ÖFB tätig waren, vielleicht am Ende die Kraft, um sich durchsetzen zu können, ein wenig nachgelassen?

Fuhrmann: Ein gutes Beispiel ist der Moment, als Ralf Rangnick zum ÖFB gekommen ist. Der Ralf ist so klar in seinen Aussagen und weiß, was er will, haben alle gesagt. Ich war auch klar, nur es wurde ganz anders eingeordnet und bewertet. Aber ich war aufgrund meiner langen Zeit im Verband dem Ganzen sehr verbunden und deshalb eventuell ein wenig zu kompromissbereit.

Irene Fuhrmann blickt im weiteren Verlauf des Gesprächs über den ÖFB auf ihre Ära zurück. Viktoria Schnaderbeck, Kapitänin unter Fuhrmann im Nationalteam, äußerte sich in Interviews durchaus kritisch über sie, was sie nicht ganz kaltlässt. Oft sei es interessant, wie Dinge eingeordnet würden, hält die Langzeit-Teamchefin fest. Schnaderbeck wirft ihr vor, dass es nicht gelungen sei, jüngere Spielerinnen als Leaderinnen konsequent aufzubauen. Fuhrmann widerspricht dem, sie hätte junge Spielerinnen forciert und der erste Umbruch nach 2022 sei gut orchestriert gewesen. Außerdem hätte das Team während ihrer Zeit immer im Soll gespielt. Außer in drei Spielen. Damit meint sie, sie hätte nur drei Mal gegen Teams verloren, die in der Weltrangliste hinter Österreich waren. Das wären aber eben genau die Playoff-Spiele für die Endrundenteilnahmen gegen Schottland und Polen gewesen.

Beim Viertelfinaleinzug in England 2022 hätte sie ein Team von erfahrenen Spielerinnen zur Verfügung gehabt, die außerdem in ihren Klubs durchwegs Stammspielerinnen waren, sagt die Ex-Teamchefin. "In den Wochen vor den verpassten Playoffs 2024 haben diese Spielerinnen später entweder gegen den Abstieg oder wenig bis gar nicht gespielt." Das solle keine Ausrede für das Scheitern sein, aber ein unwesentliches Puzzleteil für die mäßige Performance sei es dann auch nicht gewesen. Hätte sie nach 2024 weiter gemacht, hätte sie die Notwendigkeit für eine große Veränderung gesehen. "Das wäre dann aber ein Vierjahresplan gewesen".

90minuten: Ihr Abschied damals vom Nationalteam hat sich ein bisschen so dahingezogen. War es schwer im Dezember 2024, nach mehr als vier Jahren, von dieser Aufgabe loszulassen?

Fuhrmann: Für mich war es nach dem Abpfiff im Playoff-Spiel gegen Polen klar, dass es zu Ende ist. Ich habe das gespürt. Ich habe es nicht gleich kommuniziert, weil es aus meiner Sicht notwendig war, sich noch einmal gemeinsam in Ruhe hinzusetzen. Peter Schöttel wollte, dass ich weitermache. Ich war über diese Klarheit, das nicht mehr machen zu wollen, von mir selbst überrascht, weil ich so lange dabei und dem Ganzen emotional sehr verbunden war. Es hätte in jedem Fall einen Cut gebraucht und meine Kraftressourcen haben nicht mehr ausgereicht, sich dem zu stellen. Es war der richtige Zeitpunkt und ich bereue die Entscheidung auch heute nicht.

90minuten: Ihr Nachfolger ist mit Alexander Schriebl ein Mann. Ohne seine Kompetenz in Frage zu stellen: Ist es das richtige Signal, wieder einen Mann auf diesen Posten zu setzen?

Fuhrmann: Wenn der Verband jemanden aus Österreich verpflichten möchte, dann ist die Auswahl unter den Frauen gering. Wir haben keine Handvoll Trainerinnen, die die höchste Ausbildung haben, die nötig ist. Schriebl hat in Bergheim gut gearbeitet, ich muss aber sagen, dass ich selbst überrascht über diese Entscheidung war. Für mich wirkt das wie eine kurzfristige Impulsentscheidung und keine langfristige Strategie. Ich hätte mir erwartet, dass jemand mit mehr Erfahrung im Frauenfußball kommt und international ein Netzwerk hat. Da gibt es in Österreich auch kaum Männer, die das vorweisen können. Aber der ÖFB hätte es durchaus einmal wagen können, den Schritt zu einer Verpflichtung im Ausland zu machen.

Die Spielerinnen müssen mutig sein und den Schritt in eine bessere Liga wagen. Das gilt auch für mich selbst. Wenn ich wieder Trainerin sein will, weiß ich, ich muss ins Ausland gehen und die Heimat zurücklassen.

Irene Fuhrmann

90minuten: Um noch bei den Männern in Verantwortung zu bleiben. Es gibt im heimischen Frauenfußball kaum Frauen in Verantwortung. Nur ein Bundesligist hat eine Trainerin und auch in der sportlichen Leitung gibt es nur wenige weibliche Personen. Woran liegt das?

Fuhrmann: Es wurde komplett verpasst, die Frauen, die dem Fußball als Spielerinnen verbunden waren, in den Vereinen zu halten. Sowohl auf Trainerinnen- als auch auf Funktionärsebene. Das liegt natürlich unter anderem an den Verdienstmöglichkeiten. Meine ganze Karriere war zum Beispiel auf Zufall aufgebaut und nicht auf einem Karriereplan. Ich hätte mir niemals gedacht, dass ich hauptberuflich mein Geld im Fußball verdienen kann. Es muss überall nachjustiert werden, das gilt zum Beispiel auch für die Schiedsrichterinnen. Es werden jetzt Akzente gesetzt, vor allem im Bereich der erfahrenen Spielerinnen und deren Weg in die Trainerinnenausbildung. Aber ein jahrzehntelanges Versäumnis aufzuholen, braucht Zeit.

90minuten: Mitte August startet in Österreich die Frauen-Bundesliga. Wie blicken Sie auf die heimische Meisterschaft?

Fuhrmann: Ich sehe Entwicklungsschritte in der Bundesliga. Es ist eine richtig gute Liga für junge Spielerinnen. Sie bekommen viel Spielzeit und können so zu Führungspersönlichkeiten heranreifen. Und dann ist es wichtig, die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Die Spielerinnen müssen mutig sein und den Schritt in eine bessere Liga wagen. Das gilt auch für mich selbst. Wenn ich wieder Trainerin sein will, weiß ich, ich muss ins Ausland gehen und die Heimat zurücklassen. 

90minuten: Was erwarten Sie sich sportlich von der kommenden Saison?

Fuhrmann: Meister St. Pölten hatte viele Abgänge und einige Neuzugänge sind gekommen. Es wird spannend zu beobachten, wie schnell das wieder rund läuft. Dazu arbeitet Austria Wien schon seit einiger Zeit sehr gut im Frauenfußball und hat eine gute Mischung im Kader. Es könnte vor allem im Herbst noch sehr ausgeglichen sein. Was dem Frauenfußball sehr gut tut, ist, dass der SK Rapid investiert und wohl bald in der Bundesliga sein wird und, dass Red Bull das Team aus Bergheim übernommen hat. Da geht es einerseits um Infrastruktur und andererseits ziehen diese Namen einfach. Die Liga wird kompetitiver, was der Entwicklung der Spielerinnen und am Ende auch dem Nationalteam guttut.

90minuten: Wie steht es um Ihre eigene Zukunft? Sie sind aktuell als Offizielle für die UEFA und als Vortragende unterwegs. Haben Sie wieder Lust auf einen Job als Trainerin?

Fuhrmann: Ich habe im Moment keinen klaren Plan. Ich lasse mich ein wenig treiben. Es ist sehr interessant, welche Möglichkeiten sich da und dort auftun. Ich genieße es gerade so, wie es ist. Aber es fehlt der Kitzel. Die Spannung, die mit einem Trainerinnenjob verbunden ist. Bei der EM habe ich das wieder stark gespürt. Der Wunsch ist also schon in mir und es wäre schön, wenn etwas kommt, wo ich mich als Trainerin sehen kann. Aber da muss viel zusammenpassen.

90minuten: Sie haben vorher gesagt, wenn du als Trainer arbeiten willst, musst du ins Ausland gehen.

Fuhrmann: Ja, dazu braucht man sich nur anschauen, wie viele Möglichkeiten es in Österreich gibt, hauptberuflich als Trainerin zu arbeiten. Und ich habe für mich einen gewissen Anspruch, auf welchem Niveau ich arbeiten möchte. Da geht es um Rahmenbedingungen, Größe des Betreuer:innenstabs und all das. Ich bin spezialisiert auf alle Herausforderungen, die ein Nationalteam mit sich bringt. Einen Klub zu trainieren wäre Neuland. Ich mache aber auch jetzt gerade viele Dinge, die neu für mich sind. Ich kann mir vieles vorstellen, aber man muss wissen, was man kann und was man nicht kann. Und man muss bereit sein für die Aufgabe. Es wird sich zeigen, was auf mich zukommt.

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