Oft wurde an Christoph Baumgartner herumgemäkelt, seit er 2023 von Hoffenheim zu RB Leipzig wechselte, im Sommer stand sogar ein Wechsel im Raum. Doch der 26-Jährige blieb und zeigt in dieser Saison endlich die Klasse, die man im Nationalteam schon lange von ihm kennt.
Fünf Tore in der Liga, zwei im Pokal, dazu spektakuläre Offensivszenen und starkes Timing beim Gegenpressing. Wir sind mit Experten und seinen Trainern der Frage nachgegangen: Warum ist Baumgartner plötzlich so gut?
"Bevor die Räume geschrieben werden, hat er sie schon gelesen."
Es gibt Tore, die sinnbildlich für eine Entwicklung stehen. "Schau dir seinen zweiten Treffer gegen den HSV an", sagt Sebastian "Seb" Kneißl, Bundesliga-Experte beim Streamingdienst "DAZN".
"Baumgartner kreiert dort sein eigenes Tor, indem er erst den Innenverteidiger herauszieht und damit einen Raum schafft, den er kurz darauf selbst zum Abschluss nutzt. Das ist seine ganz große Stärke, die er in dieser Saison zeigt."
Baumgartner, der Raumdeuter, der Möglichkeiten entdeckt, noch bevor sie entstehen. Oder wie es Kneißl fast schon poetisch formuliert: "Bevor die Räume geschrieben werden, hat er sie schon gelesen."
Krisengespräch mit Marcel Schäfer
Dass im Herbst 2025 solche Lobeshymnen auf den 26-Jährigen gesungen würden, war nur wenige Wochen zuvor nicht absehbar. Zwei Saisonen kickte er bei Leipzig, im ersten Jahr gelangen ihm immerhin fünf Treffer, im zweiten nur noch zwei.
"Er brachte seine PS hier einfach nicht auf die Straße", sagt Guido Schäfer, Chef-Reporter bei der "Leipziger Volkszeitung". "Als er von Hoffenheim nach Leipzig kam, sagte mir Ralf Rangnick, Baumgartner sei einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Liga. Doch davon war nichts zu sehen."
Somit wuchs die Unzufriedenheit bei allen Beteiligten. Und kulminierte in einem Gespräch, das Baumgartner im vergangenen Sommer mit RB-Sportchef Marcel Schäfer führte. Der Tenor: Wenn sich meine Perspektive hier nicht verbessert, wäre es wohl besser zu gehen.
Anfragen gab es genug, Glasner-Klub Crystal Palace oder Champions-League-Teilnehmer Villarreal sollen interessiert gewesen sein. Doch Marcel Schäfer, als Profi einst ein beinharter Abwehrspieler, grätschte den Wechselgedanken gnadenlos ab.
"Dafür gebührt dem Sportchef ein riesiges Lob", sagt Insider Kneißl. "Schäfer hatte die Weitsicht zu sagen, dass Baumgartner nicht nur sportlich, sondern auch in Sachen Führungsrolle einen höheren Stellenwert einnehmen würde. Individualisten wie Openda, Sesko oder Xavi waren weg, der Kader wurde verjüngt – und die Jungen muss ja wieder wer führen." Eine Aufgabe, für die Baumgartner vorgesehen war.
"Sein Timing, zu welchem Zeitpunkt er sich in den Sechzehner begibt, ist sensationell."
An dieser Stelle kommt Ole Werner ins Spiel. Nach der Trennung von Marco Rose war der Trainerposten in Leipzig vakant, der lange Jahre in Bremen erfolgreiche Coach übernahm. Und hatte dabei die Aufgabe, die durch besagte Abgänge gebeutelte Offensive neu zu strukturieren.
Seine wohl wichtigste Maßnahme: Er verpasste Baumgartner eine etwas andere Rolle als linker Achter, also dort, wo vorher der nach Tottenham abgewanderte Xavi Simons sein erfolgreiches Unwesen trieb. Was Baumgartner sichtlich Auftrieb gab.
"Er hat vom ersten Tag an einen sehr präsenten Eindruck gemacht – auf, aber auch neben dem Platz. Er ist ein sehr spielintelligenter Spieler, der gut Räume erkennt, aber auch im Pressingverhalten eine Mannschaft leiten kann. Dementsprechend hat er sportlich einen sehr hohen Wert für die Mannschaft, den er auch Woche für Woche untermauert", sagt Werner auf 90minuten-Anfrage.
Raus aus dem Schatten
Eines der auffälligsten Updates im Vergleich zur Vorsaison: Baumgartner bewegt sich viel mehr in den gefährlichen Räumen, in denen er selbst den Abschluss suchen kann.
"Ich habe extra nochmal nachgeschaut, aber er hat in dieser Saison noch keine einzige Flanke geschlagen", hat Kneißl einen verblüffenden Fakt über Baumgartner 2.0 auf Lager. "So kommt seine Stärke, im Strafraum selbst für Gefahr zu sorgen, viel besser zum Tragen. Und sein Timing, zu welchem Zeitpunkt er sich in den Sechzehner begibt, ist sensationell."
Eine Stärke, die auch Didi Hamann nicht verborgen blieb. Der Chef-Analytiker des Pay-TV-Anbieters "Sky" outet sich bereitwillig als Fan von Baumgartner. Und trägt einen weiteren Ansatz bei, warum es in dieser Saison zur Leistungsexplosion kam.
"So lange er im Schatten von Spielern wie Dani Olmo oder Xavi Simons stand, wusste er: Ich muss unbedingt liefern, wenn ich meine Chance bekomme. Das führt oft zur Verkrampfung. Und selbst wenn er geliefert hat, war er im nächsten Spiel wieder draußen. Jetzt spürt er das Vertrauen seines Trainers und holt in der Offensive für Leipzig die Kastanien aus dem Feuer."
Ein Satz, der genauso für die Nationalmannschaft gilt. Zwar mag sich Teamchef Ralf Rangnick nicht explizit über Baumgartners Rolle bei Leipzig äußern ("Das ist nicht meine Baustelle."), er lässt aber keinen Zweifel daran, froh über den rasanten Aufschwung bei seinem Schützling zu sein.
"Es gab ja Phasen in der letzten Saison, in denen er oder auch Nici Seiwald in Leipzig gar nicht gespielt haben. Da ist es mir zehn Mal lieber, wenn sie mit Selbstvertrauen vom Verein zu uns kommen", sagt der Deutsche.
Bayern-Jäger trotz 0:6-Klatsche
Über das sollte Baumgartner (54 Länderspiele / 19 Tore) in ausreichendem Maße verfügen. Er wird von Medien und Fans gefeiert, Leipzig hat sich trotz des jüngsten 1:3 gegen Hoffenheim mit sieben Siegen aus den letzten neun Spielen als Bayern-Jäger Nummer eins etabliert. Und das, obwohl es gleich am ersten Spieltag eine herbe 0:6-Klatsche in der Allianz Arena gab.
Für Kneißl geht mit dem Aufschwung aber auch eine Verantwortung einher. "Ich feiere seine Spielweise und bin überzeugt, dass wir derzeit den besten Baumgartner aller Zeiten sehen", sagt der frühere Profi (u.a. Chelsea, Düsseldorf).
"Ich nehme die Spieler dann aber auch in die Pflicht, dass sie die Leistung, die sie im Klub liefern, in wichtigen Momenten auch in der Nationalmannschaft hochfahren können. Was bei Baumgartner bis jetzt ja immer geklappt hat."
Und was auch bei den beiden so wichtigen Spielen auf Zypern und gegen Bosnien funktionieren sollte. Denn ein in Topform agierender Christoph Baumgartner könnte ein entscheidender Faktor sein, dass es Österreich erstmals seit 1998 wieder zu einer WM-Endrunde schafft.
Markus Geisler