Carina Schlüter spricht mit Begeisterung über den Frauenfußball in Österreich. Gleichzeitig ist sie aber Profisportlerin durch und durch: Ihr erstes Pflichtspiel im Dress des SKN St. Pölten im Jahr 2022 gewinnen die Serienmeisterinnen klar mit 9:0. Das Rückspiel gegen die Altenmarkterinnen sogar mit 16:0. Viel zu tun hat die deutsche Keeperin damals nicht.
Derzeit überwintert das Team der 29-Jährigen auf Rang zwei. Erstmals seit 2014 könnte der Frauen-Fußballmeister nicht aus der niederösterreichischen Landeshauptstadt kommen, für Schlüter wäre es dann das erste Mal nach drei Titeln, dass sie nicht ganz oben steht: "Ich werde nicht müde, Titel zu holen und würde nie sagen, dass es besser ist, Zweite zu werden."
Im 90minuten-Gespräch zeigt sie sich selbstbewusst und scheut auch nicht vor der einen oder anderen kontroversen Aussage zum Thema Frauenfußball. Thematisch spannt sie dabei einen weiten Bogen: Es geht um sich schließende Scheren und sich öffnende Gehaltsunterschiede, um Equal Play und die Zukunft des Frauenfußballs.
Anfänge in Deutschland
Die Torfrau kommt 1996 in Minden zur Welt. Beim SV Weser Leteln spielt sie in der Jugendmannschaft. 2011 heuert sie bei Arminia Bielefeld an und wechselt 2014 zum Zweitligisten VfL Bochum. Nach einem einjährigen Intermezzo bei Herford schließt sie sich dem traditionsreichen SC Sand an.
Ich bin diese Vergleiche zwischen Männer- und Frauenfußball manchmal leid. Darum eine vielleicht blöde Gegenfrage: Gab es in Österreich schon einmal ein ausverkauftes Stadion bei einem Frauenfußballspiel? Nein.
2019 unterschreibt sie bei Bayern München, kommt dort aber kaum über die Rolle der Ergänzungsspielerin hinaus. Nach einem Jahr beim Zweitligisten RB Leipzig kommt sie 2022 gleich doppelt nach Österreich: zum Studieren von Humanmedizin nach Krems sowie zum SKN St. Pölten.
Nachdem sie 2019/20 zwei Spiele in der Women's Champions League absolvieren durfte, tut sie das seit dem Wechsel regelmäßig für die St. Pöltnerinnen. Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich sowie zwischen Champions League und Frauen-Bundesliga ist dabei deutlich spürbar.
Die Schere zwischen großer und kleiner Fußballwelt
Die Niederösterreicherinnen verlieren international zum Teil hoch, zuletzt etwa mit 0:5 bei Juventus Turin. "Dennoch ist das etwas Besonderes", sagt sie mit voller Überzeugung, "du gehst in jedes Spiel als Underdog und hast nichts wirklich zu verlieren."
Ganz zufrieden ist sie mit den Auftritten dennoch nicht. "Wir haben uns mehr erwartet, und so viele Gegentore zu kassieren, ist nicht unser Anspruch."
Es sind oft die kleinen Fehler, die auf diesem Niveau große Wirkung haben. Anders als in ihrer ersten Saison gegen Altenmarkt wird international gnadenlos alles bestraft. Das Tempo ist höher, die individuelle Qualität sowieso, die Technik weiter ausgereift, dazu kommen Stärke und Aggressivität – kurz: alles.
Alle Stückl'n
Aber woran liegt das? Vermutlich nicht am unmittelbaren Umfeld. Der Bayern-Campus sei schon das Nonplusultra, der "Himmel auf Erden", doch auch die Bedingungen beim SKN seien top, vergleichbar mit jenen der großen deutschen Bundesliga. Dort sei aus ihrer Sicht einfach sehr viel investiert worden, sei es in Athletiktraining oder Infrastruktur.
In Österreich könne man den Schalter allerdings nicht einfach umlegen, "von heute auf morgen ist nicht alles professionell. Das braucht seine Zeit." Noch liege der Unterschied zwischen alter und neuer Heimat vor allem in der Breite, die in Deutschland größer sei.
"Die Schere geht dort nicht so weit auseinander wie hier. In Österreich spielen weniger Mädchen Fußball, und viele Toptalente gehen ins Ausland." Dass dennoch vermehrt investiert werde, merke man an der enger werdenden Liga.
Im Männerbereich geht es nur noch um Geld, TV-Einnahmen, Sponsoren und Marketing. Das ist leider so.
So ist das halt
Austria Wien, SKN St. Pölten, Altach, Sturm Graz und Red Bull Salzburg – das ist das Führungsquintett in der heimischen Frauen-Bundesliga. "Klassische" Frauenvereine gibt es kaum noch; Neulengbach sowie die Spielgemeinschaften BW Linz/Kleinmünchen und Südburgenland/Hartberg liegen am Tabellenende.
Ähnlich ist die Lage in Deutschland. Die beiden Teams mit den meisten Titeln – Turbine Potsdam und 1. FFC Frankfurt – spielen nicht erstklassig, die Ligaspitze mit Bayern München, Wolfsburg, Bremen und Hoffenheim könnte bei den Männern gleich lauten. Kurz gesagt: Männervereine verdrängen die Frauen.
"Ja, das ist halt so eine finanzielle Sache, oder?", sagt Schlüter. "Was das Geld angeht, können eigenständige Frauenvereine nicht mithalten. Bei den Männern fließen eben andere Summen." Und genau diese Summen ermöglichen es den Profiklubs, die Frauenabteilungen mitzutragen.
Zum Glück Spaß
Mehr Geld bedeutet bessere Spielerinnen, das bringt mehr Erfolg – und der wiederum mehr Fans, was zu weiteren finanziellen Möglichkeiten führt. "Das macht früher oder später einen Unterschied", meint sie beinahe achselzuckend und verweist erneut auf Österreich.
Tabellenführer Austria Wien habe im Sommer "kräftig investiert, die haben einen Riesenkader. Man sieht natürlich, dass bei den großen Vereinen immer mehr passiert."
Im Frauenfußball gehe es dennoch noch anders zu, eine nüchterne Feststellung. "Ein Glück", nennt sie es, dass es bei ihr um den Sport gehe und darum, jedes Wochenende am Platz Leistung zu bringen. "Im Männerbereich geht es nur noch um Geld, TV-Einnahmen, Sponsoren und Marketing. Das ist leider so. Streng genommen ist Fußball Wirtschaft – und da geht es ums Geld."
"Bin die Vergleiche leid"
Dieses Thema beschäftigt sie besonders, vielleicht regt es sie sogar auf. Angesprochen auf den Umstand, dass sie mit knapp 30 studiert und vom Fußball finanziell wenig übrig bleibt, während Männer in diesem Alter noch den berühmten letzten großen Vertrag unterschreiben, sagt sie:
"Ich bin diese Vergleiche zwischen Männer- und Frauenfußball manchmal leid. Alle wollen ins Stadion, und wenn die Nachfrage riesig ist, richtet sich das Angebot danach. Dann heißt es, die Spieler verdienen so viel Geld. Darum eine vielleicht blöde Gegenfrage: Gab es in Österreich schon einmal ein ausverkauftes Stadion bei einem Frauenfußballspiel? Nein."
Bevor ich mehr Geld verdiene, möchte ich, dass alle Vereine in der Liga vernünftige und professionelle Betreuung anbieten.
Und weiter: "Das heißt, die Nachfrage ist nicht so groß, dementsprechend ist das Angebot kleiner – und folglich ist es irgendwie klar, dass wir nicht so viel Geld verdienen."
Es gibt Besseres mit dem Geld zu tun
Klar sei auch: Frauen betreiben im Fußball einen riesigen Aufwand, investieren viel und müssen daneben oft arbeiten. Aus ihrer Sicht gehe es gar nicht darum, dass Fußballerinnen mehr verdienen sollten. Immerhin gebe es genügend Sportler:innen, die in einer Saison tausende Euro selbst zahlen müssen.
Außerdem könne man mit dem Geld noch viel sinnvollere Dinge bewerkstelligen, etwa bedürftigen Menschen zu helfen – und nicht den "nächsten Privatjet oder die nächste Yacht" zu finanzieren.
Sprich: eher die hohen Männergehälter runterschrauben, als bei Frauen nach mehr Geld zu rufen. Denn dass sie überhaupt so viel verdiene, dass sie davon leben und ihr Studium finanzieren könne, sei ohnehin schon "ein Privileg".
Equal Play ist wichtiger
Und wenn im Frauenfußball mehr Geld hineinkomme, solle dieses vor allem in sinnvolle Infrastruktur und Betreuung investiert werden. Als Medizinstudentin weiß sie, dass Kreuzbänder bei Frauen leichter reißen und zyklusorientiertes Training ein Muss ist.
"Bevor ich mehr Geld verdiene, möchte ich, dass alle Vereine in der Liga vernünftige und professionelle Betreuung anbieten. Alle Spielerinnen sollen krankenversichert sein, gute medizinische Betreuung genießen und nicht fallen gelassen werden, wenn sie verletzt sind."
Das gehe so weit, dass Vereine Legionärinnen Deutschkurse anbieten und Amateurinnen bei Ausbildung, Schule oder Studium unterstützen sollten. Sie kennt Geschichten, in denen all das nicht der Fall war – etwa, dass eine Kreuzbandrissbehandlung selbst organisiert und bezahlt werden musste.
Menschlich bleiben
Die Passion und das Herzblut, mit dem viele Kickerinnen beginnen, dürften nicht ausgenutzt werden. Ausgequetscht würden Männer zwar auch, doch dort gelte:
Wir reden hier vom Topniveau! Und genauso wie Österreich den Sprung geschafft hat, machen das andere Nationen ebenfalls. Dann brauchst du immer Toptage, um zu performen.
"Die Kompensation lautet: Na gut, wenigstens bin ich Millionär. Das wird im Frauenfußball nie der Fall sein." Unbestritten sei, dass den Kickerinnen mehr Geld zustünde, dennoch sollten Verantwortliche im Frauenfußball dem Männerbereich nicht jeden Unsinn nachmachen.
Positiv bewertet sie, dass Kinder heute nicht mehr nur mit Messi- oder Ronaldo-Trikots herumlaufen, sondern auch mit jenen von Alexia Putellas oder Giulia Gwinn. Die Kinder würden gar nicht weiter darüber nachdenken, wer da spiele – sie fänden es einfach cool. Dass nun Frauennamen auf den Trikots stehen, sei "richtig cool".
Normale Schwankungen
Das kurbelt den wirtschaftlichen Motor an. Der sportliche stottert hierzulande allerdings, vor allem beim Nationalteam. Dieses beobachtet sie schon länger und meint: "Natürlich ist es schwierig, zu den Top-Nationalmannschaften aufzuschließen. Hier wird aber gut gearbeitet, vor allem deshalb, weil Spielerinnen aus der Liga ins Nationalteam kommen. Sie sehen: Ich muss nicht sofort nach England, Frankreich oder Deutschland, um konkurrenzfähig zu sein."
Dass die "Natio" zuletzt ein paar schwächere Monate hatte, liege in der Natur der Sache. Österreich sei ein kleines Land – wenn der Verletzungsteufel zuschlage und zwei, drei Spielerinnen nicht ihr Leistungsmaximum abrufen könnten, verpasse man eben Großereignisse.
"Wir reden hier vom Topniveau! Und genauso wie Österreich den Sprung geschafft hat, machen das andere Nationen ebenfalls. Dann brauchst du immer Toptage, um zu performen."
Was macht die Schere?
Manchmal brauche es ein bisschen Losglück, so ehrlich müsse man sein. Bislang habe der SKN aus ihrer Sicht Glück gehabt und in der Qualifikation schwere Lose vermieden. Am Ende müsse das Spiel aber ohnehin gespielt werden, und gerade bei Duellen mit Teams auf Augenhöhe gebe es "normale" Schwankungen – das betreffe auch ihre Heimat Deutschland.
Vor drei Jahren kam sie nach Österreich und registrierte, wie sich die Schere in der ADMIRAL Frauen Bundesliga langsam schloss. Ihre Hoffnung für die kommenden Jahre ist, dass sich vor allem die Rahmenbedingungen weiter verbessern, damit sich die Sportlerinnen bestmöglich auf das Fußballspielen konzentrieren können.
Und obwohl es für die Liga etwas Schönes sei, nicht schon vor dem Spiel zu wissen, dass man gewinnt, bleibt für sie klar: "Ich bleibe immer titelhungrig. Das wird sich nie ändern."
Georg Sohler