Gute Chancen, viele Tore. Schlechte Chancen, wenig Tore.
„Wir hatten so viele Chancen, aber es scheitert an der Chancenverwertung“, ist ein oft verwendeter Satz, um mangelnde Siege zu erklären. Eine Argumentation, die im modernen Fußball zu kurz greift. Eine Analyse von Momo Akhondi.
Ob die Chancenauswertung trainierbar ist, scheint ja nach wie vor umstritten (siehe Teil 1 der Analyse). Die Diskussion um die Auswertung von Chancen spielt zuletzt den Verantwortlichen von Sturm Graz in die Karten. Gerald Goldbrich vertrat in der Sendung „Talk und Tore“ auf Sky die Argumentationslinie, dass die Chancen zwar da waren, jedoch leider die Auswertung dieser mangelhaft war. Goldbrich betonte, dass Sturm Graz 19 Torschüsse verzeichnen konnte und verwies auf eine schöne Grafik von Sky, die wenige Minuten zuvor über den Bildschirm flatterte. Von Mittelmaß könne daher keine Rede sein, meinte der Sturm-Verantwortliche.
Dabei zweifeln diverse Experten schon seit Längerem daran, ob die Anzahl der Torschüsse überhaupt aussagekräftig ist. Aus diesem Grund wurde die Metrik „Expected Goals“ vom amerikanischen Statistiker Michael Caley ins Leben gerufen. Diese kommt eigentlich aus dem Baseball und soll die Qualität der Chancen beurteilen, die das Team kreieren konnte und welche der Gegner sich herausspielen konnte („It's a method for estimating the quality of chances that a football team creates or concedes in a match.“).
Gute Chancen führen gleich oft zu Torerfolg
Erstaunlicherweise ließ sich damit feststellen, dass qualitativ hochwertige Chancen in allen Fußball-Ligen fast gleich oft zu einem Torerfolg führten. Abgesehen von wenigen Ausreißern, widerspiegelt diese Expected-Goals-Metrik – welche bereits von Arsene Wenger mehrmals auf Pressekonferenzen erwähnt wurde – zeitgleich auch das Endergebnis.
Wenn eine Mannschaft also 15 Mal verzweifelt aus 20 Metern aufs Tor bolzt, hat es oft denselben „erwarteten Torwert“ als eine Mannschaft, die sich einmal bis in den gegnerischen Fünfer kombinieren konnte. Während die eine Mannschaft sich also über mangelnde Chancenauswertung beklagt, würde das ExpG-Modell sagen: „Nein, ihr habt euch qualitativ schlechte Chancen herausgespielt, die für den Gegner einfach nicht gefährlich wurden, das Spiel ist zurecht Unentschieden ausgegangen“.
Um beim Beispiel von Sturm Graz zu bleiben – und da sind die Grazer kein Einzelfall: Es kommt ein Problem von Sturm Graz zutage, das sie bereits die gesamte Saison verfolgt: Man ist nicht fähig, sich konstant qualitativ hochwertige Chancen herauszuspielen, die dementsprechend auch zu Toren führen können. Wenn also Offenbacher wie in der ersten Hälfte gegen Mattersburg aus 25 Metern knapp daneben schießt, ist die Wahrscheinlichkeit damit ein Tor zu schießen sehr gering. Dementsprechend hätte man von großem Glück sprechen müssen, wenn die Grazer dadurch in Führung gegangen wären. Glück, das ist kein Geheimnis, unterliegt einer enormen Schwankung und führt zu inkonstanten Ergebnissen; etwas was die Grazer diese Saison auszeichnet.
Rapid mit überdurchschnittlich viel Glück in der Gruppenphase
Auch interessant: die Exp-Goals Metrik legt zumindest den Verdacht nahe, dass Rapid die Gruppenphase der Europa League mit einer gewissen Portion Glück gewinnen konnte.
Rapid mit Glück in der EL?
“@MC_of_A: Combined xG map for Rapid. Not quite 5-0-1 group-winning good it appears. pic.twitter.com/yB2JuugMfv”
Die Erklärung der Grafik: Je größer der angezeigte Punkt, desto größer die Chance. Rosa Punkte bedeuten ein erzieltes Tor. Links sind alle in der EL-Gruppenphase erspielten Torchancen von Rapid abgebildet, rechts die der Gruppengegner. Die Analyse zeigt: Drei von zehn Toren konnte Rapid mit viel Glück erzielen. Der entsprechende Wert 7,6 zu 7,1 sagt aus, dass laut der ExpG-Auswertung Rapid in der Gruppenphase aus dem Spiel heraus zwingende Chancen für 7,6 Tore gehabt hat. Gleichzeitig hätte Rapid 7,1 Tore bekommen können.
Heißes Thema
Die Expected-Goals Metrik ist derzeit ein sehr heißes Thema im Fußball, immer mehr Vereine greifen darauf zurück, um Spiele zu analysieren und die Chancenqualität der Mannschaft sowie einzelner Spieler zu erheben. Eine genauere Beschreibung des ExpG-Modell würde den verfügbaren Rahmen an dieser Stelle sprengen. Wer sich jedoch dafür interessiert kann hier und hier nachlesen, worum es bei ExpG geht.
Anbei noch ein Beispiel des gestrigen Champions-League-Schlagers zwischen Chelsea und Paris St. Germain: Die Grafik zeigt, dass das 2:1 von Paris St. Germain laut ExpG inhaltlich voll in Ordnung geht.
xG map for Chelsea-PSG. A "perfect" "hit". Wheeeee pic.twitter.com/fyU454n7gs
>>> Teil 1 der Analyse - Die Krux mit der Chancenauswertung