Österreichs Nadelspieler bringen Liechtenstein zur Verzweiflung

Das von Teamchef Marcel Koller ausgeklügelte, taktische Konzept wird derzeit vom österreichischen Nationalteam mit einer beängstigenden Intensität durchgezogen. Der Lohn: Alle Weichen sind derzeit auf die Euro 2016 gestellt. Das musste am Freitag auch Lie

 

Österreich stand am Freitag-Abend vor einer undankbaren Aufgabe. Gegen den Underdog aus Liechtenstein hat immerhin Montenegro Punkte liegen gelassen und die rot-weiß-rote Euphorie hätte mit einem Punkteverlust in Liechtenstein einen Dämpfer bekommen. Umso bemerkenswerter war die Leistung der Mannschaft von Marcel Koller.

 

Es war bereits im Vorfeld der Partie bekannt, dass Liechtenstein mit einer sehr defensiven Grundordnung den Gegner erwarten würde. Die meistgestellte Frage war demnach folgerichtig, wie man so einen defensiven Block zerspielen würde. Würde man eher auf einen kontinuierlichen Spielaufbau setzen? Oder lieber mit hohen Bällen und den darauffolgenden zweiten Ball erobern? Die Antwort an diesem Abend war: beides. Mit einer bemerkenswerten Balance wurde sowohl über kontinuierliche Flachpässe nach vorne kombiniert, als auch mit Gegenpressing nach langen Bällen agiert. Hier spielte es den Österreichern jedoch auch in die Karten, dass Liechtenstein zwar sehr wohl tief stand, aber keineswegs besonders kompakt (=eng zwischen den Spielern). Dagegen agierte Österreich mit den bekannt zahlreichen Varianten im Spielaufbau. In den meisten Fällen kippte Alaba zwischen die Innenverteidiger und formierte mit Dragovic und Hinteregger eine Dreierkette.

 

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Bild 1 – Bereits bestens bekannt: der kippende Alaba

 

Auch wenn viele Experten meinen, der kippende Sechser sei dafür da, um ein Zwei-Mann-Pressing des Gegners einfacher überspielen zu können, so konnte man gegen Liechtenstein die viel wichtigeren Vorzüge dieses Schachzuges sehen: Durch den kippenden Sechser konnten die Außenverteidiger weiter vorschieben, weil die beiden Innenverteidiger jetzt breiter stehen können. Dadurch sind die Pässe zwischen Außen/Innenverteidiger auch viel schwerer zu verteidigen. Aus dieser Dreierabwehr heraus hat sich Österreich dann meist sehr geduldig und kontinuierlich nach vorne gearbeitet und konnte, auch dank dem sofortigen Rückzug der Liechtensteiner, mit der gesamten Mannschaft weit vorrücken.

 

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Bild 2 – sofortiger Rückzug der Liechtensteiner nach Ballverlust

 


Die meiste Zeit sah die Aufstellung der Liechtensteiner nach einem 4-1-4-1 aus, in dem wohl der defensive Sechser Polverino den Zwischenlinienraum zustellen sollte. In dem Fall hat dieser meist Junuzovic manngedeckt, dieser konnte sich jedoch ein ums andere Mal lösen und stellte die Liechtensteiner vor erhebliche Probleme.

 

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Bild 3 – Junuzovic als Nadelspieler im Zwischenlinienraum

 

Doch Österreich hat nicht nur Junuzovic als exzellenten Nadelspieler in seinen Reihen. Das Geheimnis der Österreicher an diesem Abend war vor allem die enorme Variabilität, auf die sich die Liechtensteiner nie einstellen konnten. So kam es oft vor, dass Junuzovic oder Baumgartlinger sich zwischen die Innenverteidiger fallen ließen und dadurch Alaba die Möglichkeit gaben, weiter vorzurücken, um selber den Zwischenlinienraum zu besetzen.

 

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Bild 4 – Junuzovic kippt und Alaba orientiert sich nach vorne

 


Hier können wir auch gleich den nächsten Aspekt der österreichischen Mannschaft sehen, den wir bereits im Ländermatch gegen Montenegro thematisiert haben: Die Überladungen des Halbraumes. War es gegen Montenegro noch der rechte Halbraum welcher mit Klein, Harnik, Baumgartlinger und Junuzovic überladen wurde (wohl wegen Savics Tempodefizite), so war es an diesem Abend der linke Raum, in dem sich Fuchs, Arnautovic und Alaba vornehmlich aufhielten. Und obwohl die Liechtensteiner gar nicht mal so kompakt in Ballnähe standen, so war es genug, um passable Spielverlagerungen auf den anderen Flügel zu spielen, wo Klein und Harnik sehr breit standen. Dies führte unter anderem zum 1:0 von Harnik. Genau dieselbe Kombination konnte man auch in der 49. Minute sehen, was erahnen lässt, dass die Variante mit dem Seitenwechsel auf Harnik wohl einstudiert war.

 

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Bild 5 – Alaba's Spielverlagerung vor dem 1:0 durch Martin Harnik

 

Das Ganze System von Marcel Koller ist schon so ausgereift, dass man zu jedem Zeitpunkt erkennen kann, wie die Spieler seine Vorgaben umsetzen wollen. So auch im Spielaufbau.

 

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Bild 6 – Fuchs steht innen und ermöglicht 3er Abwehr

 

In Abwesenheit von Alaba und Baumgartlinger rückt hier Fuchs ein, um die bekannte breite 3er-Abwehr herzustellen. In dieser Situation kommt Junuzovic den weiten Weg von vorne, um abzukippen und ermöglicht wiederum Fuchs wieder den Vorwärtsgang anzutreten.

 

Inwieweit die Liechtensteiner mit dem variablen Spielaufbau der Österreicher überfordert waren, zeigte sich erst so richtig beim 2:0. Während die meisten Journalisten, vor allem den Pass von David Alaba und den Assist von Marko Arnautovic feierten, konnte Zlatko Junuzovic ganz heimlich ein Riesenloch in die Abwehr des Gegners stanzen.

 

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Bild 7 – Junuzovic nutzt Verwirrung der Liechtensteiner

 

Durch ein Entgegenkommen bindet Junuzovic nicht nur den Zwischenlinienraum-Bewacher Polverino, sondern auch den rechten Verteidiger, der hier vollkommen unverständlich rausrückt um Junuzovic zu decken und dabei ein Riesenloch hinter sich aufreißt, in dem mit Fuchs und Arnautovic gleich zwei (!) Spieler stehen. Es zeigt, wie schlecht die Liechtensteiner mit den immer unterschiedlichen Nadelspielern des Gegners zurechtkamen.

 

Die andere Variante im Spielaufbau der Österreicher, mit den langen Bällen in den Zwischenlinienraum des Gegners, bringt uns gleich zu einem weiteren enorm wichtigen Baustein des gestrigen Sieges: Das Spiel gegen den Ball.

 

>>> Teil 2 der Taktik-Analyse: Marcel Kollers unheimliches Gegenpressing