Marcel Kollers unheimliches Gegenpressing
Nicht nur die Nadelspieler brachten Liechtenstein zur Verzweiflung. Auch das Gegenpressing nach Ballverlust und das Offensivpressing wurden mit einer beängstigenden Intensität durchgezogen. Der Lohn: Alle Weichen sind derzeit auf die Euro 2016 gestellt. T
Mit einer fast unheimlichen Intensität gingen die Männer von Marcel Koller sowohl ins Pressing bei gegnerischem Spielaufbau als auch ins Gegenpressing nach Ballverlust. Doch da Gegenpressing eben nicht nur „situatives Pressing" ( © Alfred Tartar) ist, muss auch dieses schon in Ballbesitz ausreichend vorbereitet werden. Was uns kurz zum Spielaufbau der Österreicher zurückbringt.
Bild 1 – Klassischer Spielaufbau bei Österreich
Wie eingangs erwähnt, konnten die Österreicher dank der tiefen Positionierung des Gegners sehr hoch stehen. Und das war auch dringend nötig, um bei den teilweise sehr gefährlichen scharfen Pässen in den Zwischenlinienraum auch dementsprechend abgesichert zu sein. Dadurch konnte man sich trotz der teilweise ungenauen Pässe in der Hälfte des Gegners festsetzen und das Spiel nach vorne zu jeder Zeit gefährlich gestalten.
Bild 2 – Österreich steht sehr hoch und kann nach missglücktem Pass sofort ins Gegenpressing.
Man sieht hier vor allem den Fokus auf den freien Liechtensteiner im schwarzen Rechteck, der auf den ersten Blick zwar frei erscheint, auf den zweiten Blick jedoch sehr gut im Gegenpressing der Österreicher aufgehoben ist. Sowohl Klein als auch Harnik und Baumgartlinger haben dank ihrer klugen Laufwege gegen den Ball Zugriff und tatsächlich holt sich auch Harnik den Ball. Man beachte: wir befinden uns tief in der gegnerischen Hälfte.
Es wurde auch in noch höheren Bereichen gegen den Ball gearbeitet. Das Ganze ging dann sogar manchmal bis zur Grundlinie:
Bild 3 – Gegenpressing im gegnerischen Strafraum
Trotz Ballverlust an der Grundlinie, lässt sich Alaba keineswegs fallen sondern macht mit Hilfe von Arnautovic sofort Druck. Auch Fuchs steht extrem hoch und wartet nur auf den Befreiungsschlag der Liechtensteiner. Es kommt wie es kommen muss: Liechtenstein schießt den Ball Fuchs vor die Füße, dadurch bleibt Österreich in der gefährlichen Zone des Gegners.
Wie wichtig die hohe Abwehr in diesem Zusammenhang ist, beweist auch eine Szene, in welcher die österreichische Abwehr zu langsam aufrückte:
Bild 4 – Abwehr von Österreich zu tief. Viel Platz für Liechtenstein
Weil hier die Verteidiger im Spielaufbau nicht früh genug aufrücken, vielleicht auch weil Liechtenstein sich hier noch ein wenig mutiger und höher aufstellt, können gleich zwei Liechtensteiner den Ball ganz frei annehmen. Hier hätte das Ganze auch nach hinten losgehen können.
Das passierte jedoch am ehesten, wenn die Österreicher nicht immer geduldig und flach nach vorne spielten, sondern immer wieder weite Bälle einstreuten.
Bild 5 – weiter Ball von Dragovic, Österreich steht schon im Zwischenlinienraum
Besonders hier war dann extremes Gegenpressing gefragt und dies führte unter anderem auch zum 3:0 von David Alaba.
Bild 13 – extremes Gegenpressing nach hohem Ball
Doch abgesehen vom Gegenpressing war vor allem auch das Offensivpressing der Österreicher beeindruckend.
Bild 7 – Offensivpressing nach Abstoß Liechtenstein. Sehen Sie, wohin der Ballführende den Ball spielen könnte?
Wohin soll der Ballführende den Ball spielen? Ich wüsste nicht wohin. Janko ist sehr fleißig darin, den Passweg nach hinten und zum Nebenmann zuzustellen, neben ihm auf selber Höhe presst Junuzovic den Ballführenden an, während im Rücken schon Harnik lauert. Alaba verlässt seine Position, um Polverino zu pressen und sorgt dadurch für eine 4-1-3-2 Staffelung von Österreich gegen den Ball. Folgerichtig kann sich Österreich den Ball hier holen.
Meist ist dabei das Ziel, den Gegner auf den Flügel zu drängen und dort zu isolieren. Das passiert vor allem dann, wenn weder Janko noch Junuzovic direkt Druck auf den Ball machen können, weil sie meist gerade von der anderen Seite kommen.
Bild 8– die Pressingfalle wird aufgestellt. Junuzovic hat erneut einen wichtigen Laufweg.
Dann wählen sie aber ihren Laufweg so, dass die Option zum Rückpass so schnell wie möglich verstellt ist, damit die Pressingfalle zuschnappen kann.
Bild 9 – es scheint alles Spiel und Spaß zu sein bis die Pressingfalle dann zuschnappt.
Man braucht jedoch nicht immer so viele Spieler, um den Gegner zu unkontrollierten Abschlägen zu zwingen. Das beweist Janko eindrucksvoll in der folgenden Szene.
Bild 10 – Jankos kluges Solo-Pressing
Hier braucht Janko gar keine Unterstützung. Durch einen Bogenlauf nimmt er den Außenverteidiger am unteren Bildrand aus dem Spiel und indem er den Laufweg bis zum Tormann fortsetzt zwingt er diesen zum weiten Abschlag. Mit klugen Laufwegen kann dadurch ein Spieler äquivalent zu zwei pressen.
Es spielte den Österreichern zwar in die Karten, dass die Liechtensteiner trotz augenscheinlicher Defizite im Spielaufbau, eben diesen gegen eine stark pressende Gäste-Mannschaft forcierten und dadurch wiederholt ins offene Messer liefen. Doch auch gegen Mannschaften, die sich nicht trauen das Spiel von hinten aufzubauen, dürfte die Taktik von Marcel Koller Erfolg haben, weil wenn der Gegner sich nicht traut, schnappt das Pressing auch schon nach einem simplen Rückpass zu.
Bild 18 – Offensivpressing nach Rückpass
Hier bricht Liechtenstein einen Angriff ab, nachdem man in der Hälfte der Österreicher nicht weiterkommt und spielt den Ball über die Innenverteidiger wieder von hinten heraus. Der Weg des Balles ist hier in schwarz eingezeichnet. Sofort reagiert die Mannschaft von Teamchef Koller und setzt die Abwehr unter Druck. Sowohl Janko, als auch Junuzovic (oberen zwei im weißen Dress) stellen gleich die Passwege zu, während Arnautovic im vollen Tempo angelaufen kommt. Hier ist nicht nur sein bogenartiger Lauf zu beachten, sondern auch sein bewusster Schulterblick (roter Kreis) mit dem er überprüft, ob der Passweg nach außen zugestellt ist. In dem Fall hat auch Christian Fuchs sehr schnell geschalten und hat den Liechtensteiner Außenverteidiger bereist zugestellt. Arnautovic kann also direkt auf den Gegner zulaufen und zwingt ihn dadurch zu einem Fehler.
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Fazit: Beängstigende Intensität
Die Mannschaft von Marcel Koller agiert derzeit einfach extrem bemerkenswert. Vor allem auf taktischer Ebene scheint der Schweizer auf alles gefasst zu sein und seine Mannschaft zieht sein ausgeklügeltes Konzept mit einer beängstigenden Intensität durch. Dadurch stehen alle Zeichen auf EURO 2016.