Das sensationelle Comeback des Offensivpressings
Mit einem sensationellen Comeback des verloren geglaubten Offensivpressings gewann Österreich gegen Montenegro mit 1:0. Mit dieser Taktik wurden zahlreiche Chancen herausgespielt und das Team aus Montenegro seiner Stärken beraubt. Eine Taktik-Analyse von
Personell waren die Umstellungen mehr oder weniger absehbar: Prödl musste für den wieder fitten Hinteregger Platz machen, nicht zuletzt auch deswegen, weil Marcel Koller laut eigener Aussage „einen Linksfuß und einen Rechtsfuß in der Innenverteidigung präferiert". Außerdem galt es noch den Ausfall von Marc Janko zu kompensieren. Hinterseer und Okotie standen zur Auswahl. Letzterer machte schließlich das Rennen und brachte interessante neue Aspekte ins Spiel der Österreicher. Die Montenegriner hingegen überraschten bei ihrer Aufstellung nicht. Der gelernte Innenverteidiger Savic (AC Florenz) kam erneut als Rechtsverteidiger zum Einsatz, welches dem ganzen Spiel der Montenegriner eine leichte Asymmetrie verlieh. Während sich Savic im Spielaufbau zurückhielt, marschierte Linksverteidiger Volkov gerne die Linie entlang. Dadurch entwickelte sich besonders im Spielaufbau eine pendelnde Dreierkette, in der Savic einrückte während Volkov das Weite suchte.
Das österreichische Team „begrüßte" die Gäste aus Montenegro mit einem überraschend hohen Offensivpressing aus verloren geglaubten Tagen. Junuzovic rückte auf die Höhe von Mittelstürmer Okotie auf und setzte den Gegner bereits früh in einem 4-4-2 unter Druck.
Abb. 1 – Okotie und Junuzovic stören den Gegner bereits sehr früh
Gegen Moldawien hat man so ein hohes Pressing nur vereinzelt gesehen. Und zwar nur dann, wenn der Gegner einen gefährlichen Rückpass spielte; dieser war dann der Auslöser (Trigger) für ein frühes Attackieren. Die Montenegriner schienen von Anfang an überrascht und überfordert zu sein mit dem hohen Pressing der Österreicher und kamen so ein ums andere Mal in Verlegenheit. Was außerdem überraschte: je sicherer sich die Österreicher fühlten, desto höher setzen sie das Pressing an. Es kam dadurch zwischenzeitlich zu einer 4-1-3-2-Formation, bei der Alaba die 10er-Position von Zlatko Junuzovic übernahm, während dieser Okotie an vorderster Front unterstützte.
Abb. 2 – Asymmetrische Viererkette bei Montenegro, aufgerückter Alaba und Junuzovic im Pressing bei Österreich.
Eine andere, neue Facette, die das Spiel der Österreicher durch den Einsatz von Rubin Okotie dazubekam, waren seine ausweichenden Bewegungen. Okotie ließ sich gerne mal auf den Flügel und im Spielaufbau eine Reihe nach hinten fallen und konnte so eine zusätzliche Anspielstation im Zwischenlinienraum anbieten.
Abb. 3 – Okotie zwischen den Linien
Überladene rechte Seite - Arnautovic hält den Flügel
Was den Spielaufbau anging, ließ sich wie gewohnt einer der beiden Sechser zwischen die Innenverteidiger fallen, wobei dies recht gleichmäßig zwischen David Alaba und Julian Baumgartlinger aufgeteilt wurde. Außerdem bekam man durch die Aufstellung von Hinteregger und Okotie viel mehr Bälle gefährlich in die gegnerische Hälfte als es noch gegen Moldawien der Fall war. Was aber besonders auffiel war, dass der Sechser, der gerade nicht abkippte und sich in den Angriff miteinschaltete, immer wieder den rechten Halbraum suchte. Nach dem Spiel verriet Baumgartlinger im 90minuten.at-Gespräch, dass dies keine Vorgabe war sondern sich aus dem Spiel heraus ergab. Hier spielte sicher auch die Asymmetrie der beiden Außenverteidiger Savic und Volkov eine Rolle.
Abb. 4 – Überladene rechte Seite, Arnautovic hält den Flügel. Im Rechteck die Dreierkette der Montenegriner.
Während Junuzovic und der zweite Sechser (in diesem Fall Baumgartlinger) den rechten Raum suchten, um auszuweichen, hielt Marko Arnautovic bewusst die Breite (rot unterstrichen, oben). Die Abwehr der Montenegriner hatte sich wie erwartet zu einer Dreierkette formiert und Rechtsverteidiger Savic dadurch nicht nur einen großen Abstand zu Arnautovic, sondern auch große Geschwindigkeitsprobleme, falls er dieses Loch wieder zu machen wollte.
Dementsprechend wurden viele der österreichischen Angriffe über rechts gestartet und dann blitzartig auf die andere Seite verlagert. Hilfreich waren dabei die einschneidenden Läufe von Florian Klein, der gerne mit dem Ball in die Mitte zog und dadurch noch schneller das Spiel verlagerte. Bei der oben gezeigten Szene geht der Ball über Alaba (im Mittelkreis) rasch auf die andere Seite, wo Arnautovic dann wie so oft viel Platz vorfinden konnte. Für Arnautovic war dies aber keine neue Situation; unter Mark Hughes spielt er bei Stoke City eine fast identische Rolle; auch dort wurden die meisten Angriffe über die ihm ferne Seite initiiert und landeten dann bei ihm. Man konnte sehen, dass ihm diese Taktik sehr lag.
Asymmetrie der montenegrinischen Abwehr zu Nutze gemacht
Ob nun geplant oder nicht: man konnte sich die Asymmetrie der montenegrinischen Abwehr ausgezeichnet zunutze machen und auf diese Weise den einzigen Treffer des Abends durch Rubin Okotie erzielen. Der rechte Halbraum wurde durch Alaba, Junuzovic und Harnik überladen, um danach rasch auf die gegenüber liegende Seite verlagern zu können.
Den Fokus auf rechts konnte man zum Ende der ersten Halbzeit besonders schön beobachten. Teilweise blieb dann sogar Kapitän Fuchs bei den Innenverteidigern und bildete wie auf der Gegenseite eine pendelnde Dreierkette. Klein konnte sich dadurch noch weiter vorne positionieren.
Abb. 5 – Fuchs als neues Mitglied in der Dreierkette. Klein bald nicht mehr im Bild (Kreis).
Nach der vollkommen verdienten Führung hätte man erwarten können, dass die Österreicher dem aggressiven Pressing den Rücken kehren würden, doch das Gegenteil war der Fall. Man stand weiterhin hoch und verzeichnete bis zur Schlussphase noch Ballgewinne tief in der gegnerischen Hälfte. Hervorzuheben waren dabei Florian Klein und Julian Baumgartlinger. In Erinnerung blieb vor allem Baumgartlingers Ballgewinn zum Ende der ersten Halbzeit, mit dem er eine große Doppelchance für Österreich einleitete.
Abb. 6 – Baumgartlinger holt sich den Ball tief in der gegnerischen Hälfte.
Außerdem beeindruckte die Koller-Elf nach der Führung mit einer fast schon unheimlichen Variabilität; oft ging beispielsweise Alaba mit nach vorn zum Pressing während Junuzovic dann absicherte. Durch diese Fluidität in der Offensive musste sich der Gegner immer wieder neu einstellen und hatte dadurch erhebliche Probleme.
Abb. 7 – Alaba und Junuzovic tauschen spontan die Rollen. Der Gegner ist überrascht.
Was noch ausbaufähig ist, sind die Bewegungsabläufe im Pressing. Vor allem Okotie hätte durch intelligenteres Stellungsspiel die Wirkung des Pressings erhöhen, und dadurch noch mehr Bälle erobern können.
Abb. 8 – Alaba wieder weit vorne am Pressen. Okotie steht weit weg vom Ball und wirft seinen Deckungsschatten dadurch auf den falschen Spieler.
Hier konnte David Alaba den Gegner erneut sehr hoch unter Druck setzen. Rubin Okotie stand verhältnismäßig sehr weit weg vom Ball. Wenn er sich zumindest in Richtung Innenverteidiger begeben hätte, würde sich der Ballführende nicht mehr trauen zurückzuspielen und den Ball zwangsläufig verlieren. Das passive Stellungspiel von Okotie gab dem Gegner hier aber eine Ausweichmöglichkeit.
Doch auch Lukas Hinterseer konnte in seinen wenigen Einsatzminuten zeigen, was er bei Ralph Hasenhüttls Pressingschule in Ingolstadt gelernt hat. Obwohl sein Auftritt mit der vergebenen Großchancen äußerst unglücklich war, konnte er im Spiel gegen den Ball drei sehr beeindruckende Ballgewinne verzeichnen. Ein sehr gutes Beispiel dafür die 85. Minute:
Abb. 9 – Hinterseers Deckungsschatten führt zum Ballgewinn. Ballführender ist überfordert.
Der Ballführende möchte den Ball zurückspielen, doch Hinterseer erahnt das, läuft zurück und wirft so seinen Deckungsschatten nach hinten (roter Fächer), der Ballführende Montenegriner traut sich nun nicht mehr zu passen, bricht ab und läuft geradewegs in die Falle der Österreicher. Es ist jedoch stellvertretend für Hinterseers Leistung, dass er danach den Ball mit einem schlampigen Pass gleich wieder herschenkt.
Die Hereinnahme von Hinterseer war zwar nach der Verletzung von Marko Arnautovic unfreiwillig, führte in weiterer Folge aber zu sehr interessanten Staffelungen in der Offensive. Man beobachtete plötzlich ein 4-2-2-2 da es Hinterseer immer wieder in die Mitte zog.
Abb. 10 – Offensivstaffelung nach der Auswechslung von Arnautovic und die Hereinnahme von Hinterseer.
Durch dieses 4-2-2-2 mit zwei Sturmspitzen waren die Montenegriner endgültig überfordert. In den 14 Minuten, in denen Hinterseer und Okotie gemeinsam am Platz standen, wurden die Gäste regelrecht überrannt und wussten nicht, wie sie sich auf diese neuerliche Umstellung des Gegners einstellen sollten.
Dies war jedoch schnell wieder Geschichte, weil Teamchef Marcel Koller mit der Einwechslung von Stefan Ilsanker rasch darauf reagieren wollte, dass sein Gegenüber Brnovic mit Damjanovic einen weiteren Stürmer brachte. Dadurch konnte Alaba wie so oft, weiter nach vorne gezogen werden und agierte in weiterer Folge als ein 10er/Stürmer-Hybrid.
Hand in Hand mit dem hohen Pressing der Österreicher ging naturgemäß ein sehr intensives Gegenpressing, mit welchem man eventuelle Ballverluste postwendend wieder zurückgewinnen wollte. Wie das hohe Pressing war auch das organisierte Gegenpressing bei den Österreichern verloren geglaubt, feierte aber gegen Montenegro sein großartiges Comeback. Toll aufeinander abgestimmt konnte man so den Gegner ein ums andere Mal am Umschalten hindern. Beachtlich ist dabei, dass Montenegro dadurch in der 1. Halbzeit zu keiner einzigen nennenswerten Chance kam. Erst gegen Ende der 2. Halbzeit ließ die Kraft anscheinend ein wenig nach und das Gegenpressing wurde schlampiger, weshalb die Montenegriner sich die eine oder andere Chance erarbeiten konnten und die Fans bis zum Schluss zittern ließen. Über weite Strecken des Spiels sah das Gegenpressing aber so aus:
Abb. 11 Der Gegner findet sich mit dem Rücken zum eigenen Tor und 4 Österreichern wieder.
Verloren geglaubte Offensivpressing wieder ins Leben gerufen
Ein großes Lob an Teamchef Marcel Koller und seine Schützlinge. Man hatte sowohl das Personal (Okotie) als auch den richtigen Gegner, um das verloren geglaubte Offensivpressing wieder ins Leben zu rufen. So konnte man nicht nur eine Chance nach der anderen herausspielen, sondern gleichzeitig die Montenegriner ihrer größten Stärke berauben: dem Umschaltspiel. Hinzu kam noch die Eigeninitiative der Spieler, um zu erkennen, dass man durch die asymmetrische Abwehr der Gäste im rechten Halbraum den meisten Raum vorfinden würde und ein Marko Arnautovic, der konsequent die Breite im Spiel aufrecht hielt und dadurch den Grundstein für einen ausgesprochen wichtigen Sieg auf unserem Weg nach Frankreich legte. Der Abend hatte aber auch einen anderen großen Gewinner: Rubin Okotie, der im entscheidenden Moment seinen Fuß dazwischen brachte und den Österreichern dadurch drei Punkte bescherte. Konkurrent Hinterseer scheiterte an selber Stelle grandios und wird im Standing der Öffentlichkeit trotz taktisch toller Arbeit nicht positiv wahrgenommen. Doch das ist das harte Los der Stürmer.
Zeig Flagge & hol Dir jetzt Dein "Road to France"-Shirt