Capello-Taktik: Kollers analytischer Blick leitet Wende ein
Österreich gewinnt gegen Russland mit 1:0, obwohl Capellos Taktik die ÖFB-Elf lange Zeit vor erhebliche Probleme im Mittelfeld stellte. Teamchef Koller bewies jedoch einen analytischen Blick während der Partie und konnte durch taktische Umstellungen dem M
Gebeutelt von den Verletzungen von Alaba, und kurzfristig Baumgartlinger, musste Österreich unter schwierigen Voraussetzungen in das vielleicht wichtigste Länderspiel des Jahres. Die Mittelfeldachse Baumgartlinger-Alaba wurde durch das Salzburger Duo Leitgeb-Ilsanker ersetzt - das österreichische Team blieb ihren Grundprinzipien treu und setzte auf das gewohnte Pressing im 4-4-2 und einer situativen Dreierkette mit abkippenden Sechser im Spielaufbau.
Doch es schien, als hätte man seine Rechnung ohne dem Nationalcoach der russischen Nationalmannschaft, Fabio Capello, gemacht. Dieser holte nämlich ein 4-1-4-1 aus der Mottenkiste, das er seit der WM eigentlich zu den Akten gelegt hatte. Im Spiel gegen den Ball konnten die Russen dadurch einen zusätzlichen Mann im Mittelfeld, genauer gesagt im Zwischenlinienraum, positionieren.
(Bild 1) Man sieht die Abwehrreihe nicht, dafür aber Mittelfeld und Sturm im 1-4-1 System.
Junuzovic, der immer gerne im Zwischenlinienraum als Nadelspieler lauert, bekam dadurch einen zusätzlichen Gegenspieler. Wenn die Russen dann den Ball einmal eroberten, konnten sie rasch auf ein 4-3-3 umstellen und mit drei Mann angreifen.
(Bild 2) Umschalten auf Angriff bei Russland
Die Probleme der Österreicher in der ersten Hälfte waren dadurch zweierlei Natur: Durch den zusätzlichen Mann im Mittelfeld fehlte bei den Russen meist ein Spieler, der Sturmspitze Kokorin im Pressing unterstützen konnte. Dadurch war dieser oft allein auf weiter Flur. Dementsprechend obsolet war das unter Koller übliche Abkippen des ballnahen Sechsers (gegen Russland meist Ilsanker), weil es dadurch zu einer unnötig hohen Überzahl im Spielaufbau kam.
(Bild 3) 4 Österreicher im Spielaufbau gegen Kokorin in einem 4 vs 1
Wenn man also hier eine zu große Überzahl hat, heißt dies meist im Umkehrschluss, dass man woanders in Unterzahl spielt. In dem Fall war es meist Leitgeb, der gegen drei Mann im Mittelfeld spielen musste und dementsprechend wenige Bälle bekam.
(Bild 4) Almer nicht zu sehen, trotzdem 4gg1 im Spielaufbau. Leitgeb leidet unter unnötigen Abkippen Ilsankers.
Koller reagierte in der Pause und forderte von Ilsanker, dass er sich nicht abkippen lässt. Dadurch wurde es für die Russen jedoch zunächst ein leichtes Unterfangen, gleich beide Salzburger Mittelfeldspieler aus dem Spiel zu nehmen.
(Bild 5) Das Zentrum ist dicht
Wenn Ilsanker auf einer Höhe mit Leitgeb agierte, kam erst richtig zum Vorschein, dass das russische 4-1-4-1 die Spiegelformation zu Österreichs klassischem 4-2-3-1 war. Das heißt, dass beide rot-weiß-roten Sechser mit Shirokov und Fayzulin einen direkten Gegenspieler hatten. Dementsprechend zäh war der Spielaufbau von Marcel Kollers Truppe.
Das zweite Problem, das Capello seinem Gegenüber mit seiner Formation bereitete, waren die Abläufe im Pressing. Österreich presste wie gewohnt im 4-4-2 mit Junuzovic auf einer Höhe mit Janko.
(Bild 6) Gewohntes Pressing der Österreicher. Junuzovic und Janko im 4-4-2
Dabei verlässt Junuzovic aber seine angestammte Position als „Zehner“. Das ist normalerweise auch kein Problem, würden die Russen mit Glushakov nicht einen Spieler eben genau dort platzieren (roter Kreis). Dadurch, dass dieser dann meist frei stand, hatten die Russen ein klares Übergewicht im zentralen Mittelfeld. Der Spieler, der diese Lücke prinzipiell schließen hätte müssen, ist Harnik (grauer Kreis), doch das Spiel der Österreicher war bereits gegen Montenegro dadurch gekennzeichnet, dass der ballferne Flügel immer die Breite hält, um dann rasch über den Flügel durchbrechen zu können.
Waren es gegen Montenegro noch Überladungen der rechten Seite, so gab es gegen Russland keine Präferenz bezüglich der Seite. Doch das Prinzip blieb gleich.
(Bild 7) Überladung der linken Seite, rechts wird Breite gehalten
Wenn Hinteregger den Angriff einleitete, wurde der linke Halbraum der Russen überladen. Wenn Dragovic aufbaute hingegen der rechte Halbraum, doch die Spielfeldbreite muss gehalten werden (rotes Rechteck mit Klein – Harnik gar nicht mehr im Bild weil er an der Outlinie klebt). Marcel Koller versuchte diese Lücke wieder zu schließen, indem er den ballfernen Flügelspielern nun den Auftrag gab, weit einzurücken und die Russen dadurch im Zentrum wieder zu neutralisieren. Und tatsächlich konnte man dadurch auch schon in der ersten Halbzeit ein paar Mal intelligent einrücken.
(Bild 8) Martin Harnik hat das Zentrum unter Kontrolle
Es ist eine ähnliche Szene wie zuvor, doch dieses Mal konnte Harnik früh genug einrücken, um den „Zehner“-Raum zu besetzen und Glushakov dadurch aus dem Spiel zu nehmen. Und wenn man einmal nicht mit Junuzovic und Janko auf einer Höhe presste, konnte man den Gegner dadurch auch viel einfacher in Verlegenheit bringen.
(Bild 9) Pressing Dreieck
Hier presst Janko an vorderster Front alleine bzw. deckt den gegnerischen Innenverteidiger ab. Junuzovic steht nicht auf einer Höhe sondern verstärkt das Mittelfeld (links unten im Dreieck). Die Russen sind gezwungen den Ball ins Aus zu schießen – Ballgewinn. Auf diese Option wurde jedoch im ganzen Spiel viel zu selten gesetzt und dementsprechend hatten die Russen ein Übergewicht im Mittelfeld. Dessen waren sich die Gäste bewusst und wollten vor allem über hohe Bälle eben jenes Übergewicht ausnutzen.
(Bild 10) Weiter Abschlag Akinfeev, 3gg5-Situation.
Die weiten Abschläge der Russen wurden von unseren Innenverteidigern scheinbar geklärt, doch man tappte dadurch umgehend in die Falle der Russen und musste sich teilweise aus 3gg5 Situationen befreien (siehe rotes Rechteck – Bild 10).
Im Laufe der 1. Halbzeit hatte Teamchef Marcel Koller diese Defizite erkannt und konnte mit den bereits beschriebenen, recht simplen Gegenmechanismen die Kontrolle über das Zentrum zurückgewinnen: Einerseits wurde Ilsanker dazu aufgefordert, nicht mehr abzukippen, andererseits musste sich der jeweils ballferne Flügelspieler, Harnik oder Arnautovic, um den russischen Sechser Glushakov kümmern, damit Junuzovic weiterhin im 4-4-2 pressen konnte. Dadurch konnten sich im Endeffekt beide Mannschaften im zentralen Mittelfeld mehr oder weniger neutralisieren, weshalb das Spiel auf beiden Seiten früh auf die Flügel verlagert wurde. Das führte zu einer erschreckend hohen Anzahl an Flanken, vor allem aus dem Halbfeld. Diese waren auf beiden Seiten selten gefährlich und zeugten von mangelnder Kreativität.
Doch die Russen hatten auch noch andere Varianten, mit denen Sie die Mannschaft von Marcel Koller in Verlegenheit bringen konnten. Im soliden österreichischen 4-4-2 gegen den Ball versuchten die Russen immer wieder gefährlich in den Zwischenlinienraum zu kommen und konnten so in ihren wenigen Vorstößen enorm viel Gefahr ausstrahlen.
(Bild 11) Russen überladen Zwischenlinienraum
Hier kamen gleich drei russische Spieler in den Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld und konnten so die österreichische Hintermannschaft auseinanderziehen. Vor allem die Nummer 9, Kokorin, agierte keineswegs als klassische Sturmspitze, sondern lauerte immer wieder im Zwischenlinienraum und war dort in der Ballannahme kaum zu stören und dadurch schwer unter Kontrolle zu bringen.
Sogar nach dem Rückstand und der Hereinnahme von Dzyuba in der 75. Minute wurde nicht auf ein klares 4-4-2 umgestellt, sondern Kokorin kam von nun an als Zehner weiterhin aus dem Zwischenlinienraum.
Da hatte Marcel Koller seinen Sturm-Joker längst eingewechselt und Rubin Okotie machte da weiter, wo er gegen Montenegro aufgehört hatte. Dynamisch und technisch ansprechend, doch mit Defiziten im Spiel gegen den Ball.
(Bild 12) Okoties fehlendes Pressing
Okotie müsste hier eigentlich den ballnahen Innenverteidiger Ignashevich stellen und dadurch das gute Pressing der Österreicher mit einem Ballgewinn belohnen. Stattdessen konnte Russland sich in dieser Situation sehr einfach befreien, weil Ignashevich ganz frei angespielt werden konnte.
Abschließend werfen wir noch einen Blick zum Verhalten der österreichsichen Nationalmannschaft bei gegnerischen Eckbällen.
Bild 13 – Ecke Russland
Österreich stellte immer zwei Mann an die Stangen und ließ davor mit zwei Spielern im Raum verteidigen. Der Rest spielte Mann gegen Mann gegen die russischen Angreifer. Heutzutage setzen kaum mehr Mannschaften auf die Spieler an den Torstangen, weil diese dann logischerweise im Strafraum fehlen. So kann es eben auch zu Szenen kommen wie in der 44. Minute, bei der die Russen dann Überzahl im Strafraum der Österreicher kreieren können und dem Führungstreffer furchtbar nah kamen.
FAZIT: Ob es nun Capellos Umstellungen, den Ausfällen von Alaba und Baumgartlinger oder auch eine Mischung von beiden geschuldet war ist nicht klar zu sagen, doch unsere Nationalmannschaft hatte große Schwierigkeiten ins Spiel zu finden und zu keinem Zeitpunkt wirklich die Überhand im Mittelfeld. Durch das russische 4-1-4-1 waren die Österreicher sehr oft in Unterzahl im zentralen Mittelfeld.
Doch das konnte Teamchef Marcel Koller im Laufe des Spiels immer besser unter Kontrolle bekommen, indem er einerseits das Mittelfeld mit den Flügelspielern verstärkte und andererseits den in diesem Spiel obsoleten abkippenden Sechser abschaffte. Er bewies dadurch einen ausgeprägten analytischen Blick und die Fähigkeit, während des Spiels Defizite zu erkennen und diesen gezielt entgegenzuwirken. Hinzu kamen Aspekte wie das Umschalten, sei es nach Ballverlust (Gegenpressing) oder Ballgewinn (Konter), welches fast schon typisch für die Ära Koller ist und auch gegen Russland einige Male gut funktionierte.
Österreich thront, durch den Erfolg gegen den Gruppenfavoriten nun bereits mit vier Punkten Vorsprung auf den Zweitplatzierten aus Schweden, an der Spitze der Gruppe G und hat alle Chancen 2016 in der Endrunde in Frankreich dabei zu sein.