Ein Sieg der individuellen Qualität [Spielanalyse Frankreich vs Kroatien]

Kroatien war im Finale das besser spielende Kollektiv, allerdings war für eine Überraschung die individuelle Qualität der Franzosen zu groß.

Eine Spielanalyse von Alex Belinger

 

Nachdem einem erfolgreich bestrittenem Halbfinale verzichteten beide Trainer auf personelle Umstellungen ihrer Mannschaften. Bei Frankreich war dies zu erwarten, allerdings war die Aufstellung Kroatiens unsicher, da die drei Spiele über 120 Minuten ihre Spuren hinterlassen haben und sich auf den Fitnesszustand einiger Spieler auswirkten. Dennoch kam erneut dieselbe Startelf wie im Halbfinale gegen England zum Einsatz, zudem blieb die Formation ein 4-3-3, welches sich im Verlauf der Weltmeisterschaft als bessere Alternative zum 4-2-3-1 herausstellte.

 

Kroatiens starker Beginn

Von der Ausgangslage her begann das Spiel wie erwartet: Obwohl Frankreich als Favorit in das Spiel ging, konzentrierte sich die Mannschaft von Didier Deschamps primär auf das Spiel ohne Ball und versuchte mit Umschaltmomenten zum Erfolg zu kommen. Kroatien hingegen kam vermehrt über das eigene Ballbesitzspiel, hatte über die gesamte Spielzeit einen Ballbesitzanteil von 66%.

Etwas überraschend war der Beginn dennoch. Die ersten Minuten waren geprägt vom einem sehr hohem Spieltempo und einem auch im Pressing offensiven Stil der Kroaten. Teamchef Zlatko Dalic stellte seine Mannschaft ohne Ball in einer 4-1-4-1-Formation auf. Das offensive Trio aus Mandzukic, Rebic und Perisic konnte darin erneut mit seiner Defensivarbeit überzeugen und betrieb einen sehr hohen Arbeitsaufwand. Mandzukic hatte die Aufgabe, als erster das Pressing auszulösen, und lief dafür immer wieder sehr druckvoll den ballführenden Innenverteidiger an. Konnte die Situation über den zweiten Innenverteidiger aufgelöst werden, dann erhielt Mandzukic noch Unterstützung durch einen herausrückenden Achter, um weiterhin Druck auf den Ball ausüben zu können. Zumeist war es Rakitic, der auf Varane herausrückte. Allerdings zeigte auch Modric einige herausrückende Bewegungen und die beiden Achter pressten häufig sogar leicht höher als die Flügelspieler Perisic und Rebic.

 

Gute Defensivarbeit

In der Viererabwehr agierte Kroatien mit den Außenverteidigern relativ mannorientiert. Strinic versuchte stets nahe an Mbappe zu bleiben, damit dieser sich nicht aufdrehen und mit dem Ball Tempo aufnehmen kann. Im Duell mit dem französischen Jungstar wurde er zudem gut vom Domagoj Vida unterstützt. Auf der anderen Abwehrseite verließ Vrsaljko desöfteren seine angestammte Rechtsverteidigerposition, um Matuidi ins Zentrum zu verfolgen. Der Mittelfeldspieler von Juventus hatte nämlich eine ganz andere Rolle als Mbappe und rückte aus der eigentlichen 4-4-2-Grundordnung viel ins Zentrum, um sich dort eher im Stile eines Achters anzubieten. Dadurch blieb häufig Raum neben Lovren frei, was eine kleine Schwachstelle in der kroatischen Defensive war. Vereinzelt wurde versucht den aufrückenden Hernandez in diesem Raum einzusetzen, jedoch hatte Frankreich ohnehin nur eher wenig kontrollierten Aufbausituationen.

Durch das druckvoll ausgelöste Pressing, die gute Arbeit im Mittelfeld und die vereinzelten Mannorientierungen hatte Kroatien guten Zugriff auf das französische Ballbesitzspiel. In der Anfangsphase gab es sogleich einige Fouls der intensiv verteidigenden Kroaten, aber auch mehrere Balleroberungen, welche zu aussichtsreichen Umschaltsituationen führten. Damit konnte Frankreich gut unter Druck gesetzt werden und Kroatien das Spiel etwas dominieren, auch wenn kaum Torchancen herausgespielt wurden.

 

Kroatiens Ballbesitzspiel

Stattdessen ging etwas überraschend Frankreich nach einer Standardsituation in Führung. Der Trend der vielen Tore nach Standards setzte sich im Finale sogar noch weiter fort und der Ausgleich durch Kroatien sowie der Elfmeter zur erneuten Führung für Frankreich resultierten aus einem Freistoß beziehungsweise einem Eckball.

Durch den Spielverlauf war Kroatien noch mehr gezwungen über den eigenen Ballbesitz zu Torchancen zu kommen. Dies funktionierte in Ansätzen sogar sehr gut. Zunächst konnte der Ballbesitz zumindest gut gesichert und in den eigenen Reihen gehalten werden, ohne dabei für Konter anfällig zu sein.

In Kroatiens 4-3-3 übernahmen speziell die Achter Rakitic und Modric eine zentrale Aufgabe im Spielaufbau. Gemeinsam mit Brozovic positionierten sie sich nahe an der eigenen Innenverteidigung und holten sich so früh die Bälle ab. Es entstand eine 2-3-Staffelung, welche wiederrum den Außenverteidigern eine höhere Position ermöglichte. In der Ballbesitzstruktur wurde das Zentrum hingegen stark vernachlässig, denn Perisic und Rebic rückten zwar meistens leicht ein, bewegten sich jedoch stets entlang der französischen Verteidigungslinie.

Bild 1: Kroatiens Struktur mit den drei zentralen Mittelfeldspielern nahe an der Abwehr. Die Räume davor werden nicht besetzen, nur die Außenverteidiger positionierten sich üblicherweise noch höher als in dieser Szene.

Die Struktur mit den zurückfallenden Achtern hatte den Vorteil, dass eine gesicherte Ballzirkulation aufgebaut werden konnte, Konter gut abgesichert waren und mit Modric und Rakitic die wohl besten Spieler des Teams möglichst oft an den Ball kommen konnten. Weniger vorteilhaft ist, dass das Bespielen des Zwischenlinienraums schwieriger möglichst ist und die Angriffe schneller auf die strategisch weniger wertvollen Flügelzonen festgefahren sind.

Kroatien löste die Nachteile der Struktur einerseits durch viele Spielverlagerungen. Andererseits war die Struktur am Flügel auch recht gut. Es wurden häufig gut Dreiecke und Rauten gebildet, Modric und Rakitic stießen auch oft gut nach vorne nach und waren so schwieriger für die Defensive zu greifen. Im Ballbesitzspiel wurden vor allem Durchbrüche am Flügel stark fokussiert. Diese gelangen auch mehrmals und die beiden Flügelstürmer Perisic und Rebic wurden gut eingesetzt. Doch dann ergab sich das Problem, dass Frankreich im Spiel ohne Ball stets die Organisation behielt und zudem richtig gute Innenverteidiger hat.

 

Frankreichs Defensivorganisation

Frankreich verteidigte in einer 4-4-2-Formation und hatte dabei einen recht defensiven Fokus. Wichtig war die Absicherung nach hinten und nicht die Eroberung des Balles. In der Anfangsphase war zu beobachten, dass Pogba häufig aus dem Mittelfeld rausrückte, um Rakitic anzulaufen. Doch später stellte er dies ein und blieb vermehrt in seinem Raum, orientierte sich nur dort stark auf ihn. Ebenso war Kante sehr stark an Modric orientiert, schob dafür viel auf den linken Flügel, rückte auf dessen tiefe Positionierungen jedoch kaum heraus. Außerhalb des Defensivblocks wurde den Kroaten der Ball überlassen, nur Griezmann und Giroud verteidigten dann gegen Frankreichs Achter.

Bild 2: Frankreichs 4-4-2. Kante schiebt viel mit auf den Flügel. Giroud verteidigt gegen Modric.

Da Kroatien viel über die Flügel spielte und es nur wenig Penetration des Defensivblocks gab, konnte sich das 4-4-2 Frankreichs einfach nach hinten verschieben, wodurch auch in Strafraumsituationen die Organisation nicht verloren ging. Die vielen Flanken auf den kopfballstarken Mandzukic bereiteten der Innenverteidigung mit Umtiti und Varane zudem kaum Probleme. Die Umstellung auf das 3-5-2 in der zweiten Spielhälfte führten ebenso wenig zum Erfolg. So zeigte sich die gesamte französische Defensive sehr sicher und blieb überwiegend fehlerlos. Neben der recht guten (aber keineswegs herausragenden) Organisation im Spiel ohne Ball ist dies einfach auf die extrem hohe individuelle Qualität zurückzuführen.

Auch in Ballbesitz kam Frankreich viel über die individuelle Qualität. Das Ballbesitzspiel war einfach gestrickt und das Zusammenspiel funktionierte eigentlich nicht ideal. Große Torchancen wurden auch in den Kontersituationen nicht erzeugt. Daher darf trotz der vier Tore die französische Offensivleistung nicht überbewertet und die kroatische Defensivleistung nicht unterbewertet werden. Zwei Standardsituationen mit strittigen Entscheidungen und zwei Schüsse von außerhalb des Strafraums brachten für Frankreich den Erfolg.

 

Fazit

Kroatien zeigte eine mutige und äußerst ansprechende Leistung, konnte dabei aus dem Spiel heraus sogar etwas mehr Chancen als Frankreich kreieren. Trotz interessanter Ansätze im Ballbesitzspiel tat sich das Team von Zlatko Dalic jedoch sehr schwer gegen die defensiv starken Franzosen. Deschamps schaffte es sein Team ausreichend gut zu organisieren und konnte sich auf die individuelle Qualität seiner Spieler verlassen. Es war ein sehr pragmatischer Ansatz, der zum etwas unverdienten Finalsieg aber einem insgesamt wohl verdienten Turniersieg führte. Der Weltmeistertitel passt damit auch zu den vergangenen Titeln für Real Madrid in der Champions League, die ebenfalls eine Vernachlässigung der Organisation im Offensivspiel aber eine sehr hohe Bedeutung der Stabilität in allen Phasen sowie der individuellen Qualität der Spieler zeigten.

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