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Real Madrid: Ohne besondere Taktik zum Champions-League-Erfolg

Real Madrid und Juventus lieferten sich eine ausgeglichene erste Halbzeit, in der sogar die Turiner leichte Vorteile hatten. In Halbzeit zwei jedoch bekam Real die Partie in den Griff und konnte einen verdienten Sieg einfahren. Eine Taktikanalyse von Alex Belinger.

Die Ausgangslage

Juventus stellte in dieser Saison auf eine 4-2-3-1/4-4-2-Grundformation um. Vereinzelt wurde weiterhin eine Formation Fünferkette gespielt und zudem kann Juventus auch innerhalb dieses 4-4-2 mit asymmetrischen Außenverteidigern auf einen Aufbau mit Dreierkette setzen. Bekannt ist das Team von Trainer Max Allegri vor allem für seine Defensivstärke, jedoch ist Juventus eine sehr komplette Mannschaft mit Stärken in allen Phasen des Spiels.

 

Real Madrid zeichnet sich durch seine extrem hohe Stabilität und individuelle Qualität aus. Zidanes Mannschaft nimmt in Ballbesitz kaum Risiko, schafft es aber durch die hohe Qualität der Offensivkräfte dennoch genügend Chancen zu kreieren, ohne dabei für Konter anfällig zu sein. Für das Finale entschied sich Zidane für seine übliche Stammformation, wobei Isco gegenüber Bale den Vorzug bekam und eine recht freie Rolle im Zentrum hatte. Juventus spielte das gewohnte 4-2-3-1, auffällig hierbei war Barzaglis Rolle als rechter Verteidiger, wodurch Dani Alves rechts im Mittelfeld spielte.

 

Aufgrund der Spielweisen der beiden Teams war eigentlich eine relative ruhige Partie mit langen Ballbesitzphasen zu erwarten. Gerade Real schiebt den Ball gerne recht ziellos hin und her und Juventus fühlt sich wohl dabei, in einer kompakten Defensivformation auf Fehler des Gegners zu warten. Dieser ruhige Rhythmus war aber teils gar nicht zu sehen.

 

Juventus beginnt stärker

Die Bianconeri starteten etwas besser in das Spiel und hatten anfangs gute Kontrolle über das Geschehen. Das 4-2-3-1 von Juventus hatte dabei wie oft schon gesehen einige Asymmetrien zu bieten. Die Außenverteidiger Alex Sandro und Andrea Barzagli legten ihr Spiel unterschiedlich an, der Brasilianer spielte deutlich höher als der italienische Abwehrroutinier, der zunächst sehr tief auf einer Höhe mit Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini blieb. Miralem Pjanic blieb zentral vor der Abwehr, Sami Khedira spielte dagegen etwas links versetzt und wich oft auf den linken Flügel aus. Paulo Dybala fokussierte sich im offensiven Mittelfeld etwas auf den rechten Halbraum.

Juves Offensivstruktur mit Barzagli tief, Khedira halblinks und Dybala halbrechts, Mandzukic in dieser Situation eingerückt.

Real presste dies meistens in einem 4-4-2, anfangs aber auch öfter in einem 4-3-3 oder 4-5-1. Diese Unterschiede ergaben sich aus der Defensivarbeit von Ronaldo, der vereinzelt mehr nach hinten machte, und aus Iscos Rolle, der in Ballbesitz sehr umtriebig agierte und nach Ballverlusten daher oft weit weg von seiner angestammten Position links außen im 4-4-2 war. In diesem 4-4-2 war Isco links eingeplant, Toni Kroos und Casemiro zentral und Luka Modric rechts.

 

Neben der Formation variierte auch die Höhe des Pressings. In den meisten Szenen war es ein Mittelfeldpressing, allerdings wurde auch öfter höher (und dann auch mannorientierter) gepresst.

Offensivpressing von Real.

Das Pressing war dabei nicht gerade sehr kompakt, zeigte vor allem horizontal öfters zu große Abstände und bot Juventus lücken zum Durchspielen. Auch das höhere Pressing konnte Juventus öfters gut auflösen, die Verteidiger blieben dabei sehr ruhig und trafen auch unter hohem Druck sehr gute Entscheidungen – eine bekannte Stärker der Turiner.

 

Das Ballbesitzspiel der Turiner fokussierte sich etwas auf die linken Seite mit Khedira, Alex Sandro und Mario Mandzukic, allerdings konnten Drucksituationen am Flügel gut aufgelöst und die Seite gewechselt werden. Juventus kombinierte in der Anfangsphase recht sehenswert, schaffte es mit wenig Ballkontakten und guter Nutzung von Ablagen das Pressing von Reals ins Leere laufen zu lassen. Dennoch konnten sie dabei nie wirklich Durchschlagskraft entwickeln und gefährlichere Situationen erzeugen.

 

Juventus hatte das Mittelfeld besser unter Kontrolle als Real – was auch an der eher zurückhaltenden Defensivarbeit von Cristiano Ronaldo und Karim Benzema lag – konnte aber Paulo Dybala und Gonzalo Higuain selten gut einsetzen und konnte auch auf dem Flügel keine Durchbrüche erzielen. Higuain bewegte sich ganz gut, bekam aber viele unsaubere Zuspiele, die schwer zu verarbeiten waren und wenig gute Folgeaktionen ermöglichten. Dybala wurde zumeist gut bewacht von Kroos und Casemiro.

 

Kompaktes Pressing der Turiner

Auch Real konnte sich in der ersten Halbzeit kaum Chancen erspielen. Die Madrilenen formierten sich in einer Art 2-5-1-2 in Ballbesitz, bei der die tiefen Positionierungen der Mittelfeldspieler sehr auffällig waren. Drei Mittelfeldspieler standen stets vor dem gegnerischen Defensivblock. Meistens waren es Casemiro zentral, Kroos, der halblinks herauskippte, und Modric halbrechts. Gerne ließ sich aber auch Isco sehr weit zurückfallen, dies wurde aber meistens von Kroos oder Modric ausgeglichen.

 

Zusammen mit den Innenverteidiger ergibt dies fünf Spieler vor der gegnerischen Defensivformation, was die Möglichkeiten im Spiel nach vorne extrem einschränkt. Real kann dadurch den Ball relativ sicher laufen lassen, vertikale Passoptionen sind aber selten. Dennoch: ergaben sich Lücken, so konnte Real diese doch immer wieder mit genauen Pässen nutzen und die Bälle dann auch noch in Unterzahl – dank der Qualität von Isco, Benzema und Ronaldo – auch sichern. Besonders wichtig für das Ballbesitzspiel von Real war Isco, der sehr frei agierte und überall auf dem Platz versuchte Verbindungen herzustellen, zudem konnte er mit seiner Dribbelstärke enge (Unterzahl-)Situationen auflösen.

Mittelfeldpressing von Juventus mit diagonal auf Modric pressenden Mandzukic. Bei Real ist Isco tief, dafür Kroos höher. Die Innenverteidiger sind quasi nicht ins Spiel eingebunden.

Lücken im Turiner Defensivverbund waren jedoch nur selten zu finden. Juventus verteidigte in einem kompakten Defensivverbund, ohne eine spezielle Anpassung des üblichen 4-4-2-0. Die Innenverteidiger von Real wurden nicht attackiert (daher auch 4-4-2-0 und nicht 4-4-2), Higuain und Dybala blieben etwas weiter zurück und versperrten den Sechserraum. Kroos und Modric kippten heraus und konnten daher ebenfalls angespielt werden, wobei Modric dabei stets von Mandzukic angelaufen wurde. Der linke Mittelfeldspieler presste von außen nach innen und hinderte seinen Landsmann so an einem weiteren Ballvortrag. Auf der anderen Seite war dieser Pressingablauf weniger zu sehen. Dani Alves rückte nur selten so aggressiv auf Kroos, was wohl damit zu tun hatte, dass er nicht zu weit von Marcelo abrücken wollte, um Barzagli nicht in 1vs1-Situationen mit dem dribbelstarken Außenverteidiger zu bringen. War der äußere Mittelfeldspieler Richtung Kroos/Modric gerückt, so entstand teilweise ein 3-4-3, in dem auch der Außenverteidiger von Juventus weiter vorrückte.

Abwehrpressing von Juventus mit herausragender vertikaler Kompaktheit.

Konter und Gegenkonter

Mit Fortlauf der ersten Spielhälfte wurde die Partie ausgeglichener, zudem wurde der Rhythmus des Spiel schneller und hektischer. Es entstanden viele Ballverluste und Kontersituationen. Durch die tiefen Mittelfeldspieler von Real Madrid, ist das Team grundsätzlich schwer auszukontern. Juventus konnte nach Ballverlust zwar zunächst schnell etwas weiter vorrücken, da Real eine geringe Offensivpräsenz hatte, allerdings wartete dann eine starke Restverteidigung, welche die Konter unterbinden konnte. Juventus traf hier viele suboptimale Entscheidungen und verlor einige Bälle zu leichtsinnig, anstatt lieber den Ball zu sichern und den Angriff in Ruhe aufzubauen.

 

Stattdessen folgten direkte Gegenkonter von Real. Und Konter von Real, das möchte eigentlich kein Gegner. Vor allem war Juventus durch die recht schnellen Ballverluste im Konter nicht so gut abgesichert und diese Gegenkonter potentiell umso gefährlicher. Die generelle Absicherung von Juventus war eigentlich in Ordnung, dennoch entstand der erste Gegentreffer aus einem Konter. Real kann durch die hohe Pressingresistenz von Spieler wie Isco, Modric und Marcelo enge Situationen gut auflösen und mit hohem Tempo einen Gegenangriff starten. Der Angriff vor der 1:0-Führung war hervorragend vorgetragen.

 

Reals Dominanz in Halbzeit zwei

Durch den sehenswerten Ausgleich von Mandzukic ging es mit dem Spielstand von 1:1 in die Pause. Nach dieser kam Real erstarkt zurück und kontrollierte fortan das Spielgeschehen.

 

Real ließ nun etwas ruhiger den Ball in den eigenen Reihen laufen und konnte so Juventus nach und nach weiter nach hinten drängen. Juventus tat sich schwer dabei, die tiefen Mittelfeldspieler von Real zu pressen und Ballverluste zu erzwingen, ohne dabei das Mittelfeldzentrum zu sehr zu öffnen.

Reals tiefe Positionierungen im Mittelfeld.

Sichtbar wurden auch die Nachteile des vertikalen kompakten Abwehrpressings von Juventus. Der Weg zum gegnerischen Tor ist extrem weit, dadurch ist es sehr schwierig im Umschaltspiel gefährlich zu werden. Juventus wurden aber nicht nur nicht gefährlich, sie kamen gar nicht mehr hinten raus. Denn durch die vertikale Kompaktheit kann zwar besser verteidigt, aber schlechter umgeschalten werden. Die Abstände sind eng und sich aus dem Gegenpressing des Gegners befreiende Pässe sind seltener möglich, da die Abstände zwischen den Spielern einfach kleiner sind. Lange Bälle landeten also in der Restverteidigung der Spanier. Sich mit Kurzpassspiel und Dribblings zu befreien, gelang ebenfalls kaum, da Real, insbesondere Casemiro und Modric, gut antizipierten und Bälle sehr früh – früher als noch in Hälfte Eins – wieder abfingen. Dies war auch vor dem dritten Tor zu sehen, als Juventus eigentlich den Ball schon wieder hatte, Modric ihn aber vor dem nicht entgegengehenden Mandzukic zurückeroberte (und dann Ronaldo perfekt einsetze).

 

Nach dem erneuten Rückstand schien Juventus ratlos. Das Spiel war simpler flügelfokussiert, viele Passentscheidungen waren unpassend und das sehenswerte Kombinationsspiel aus der Anfangsphase konnte nicht mehr aufgezogen werden, zudem ließen auch die Kräfte immer mehr nach.

Der Sieg von Real geht dadurch letztlich in Ordnung, in Halbzeit Zwei konnte sich Zidanes Team mehr Chancen erarbeiten, auch wenn die drei Tore Differenz eigentlich zu hoch sind, wie etwa das Expected-Goals-Modell zeigt. Zudem war Juventus in der ersten Halbzeit etwas überlegen, schaffte es aber nicht diese Überlegenheit in gute Chancen und Tore umzuwandeln.

 

Wie gut ist Zinedin Zidane?

Zinedine Zidane gewann damit in seinem zweiten Jahr als Trainer bei Real Madrids erster Mannschaft zum zweiten Mal die Champions League, hat diesen Bewerb damit gleich oft wie Pep Guardiola oder Jose Mourinho gewonnen. Dennoch gibt es immer noch sehr viele Leute, die an den Trainerqualitäten des einstigen Weltklasse-Fußballers zweifeln.

 

Was Real Madrid spielt, ist aus taktischer Sicht überhaupt nichts Besonderes. Allerdings ist es erfolgreich. Zidane daher zu kritisieren ist schwierig, wichtig ist es sich den Kontext genau anzusehen. Er hat den derzeit wohl besten Kader im Weltfußball zur Verfügung, daher ist es auch gar nicht notwendig, taktisch besonders gut zu sein. Der Franzose setzt auf Risikominimierung und einen extrem hohen Stabilitätsfokus, der Vor- und Nachteile mit sich bringt. In Reals Fall werden die Nachteile jedoch von der beeindruckenden individuellen Qualität ausgeglichen.

 

Was Zidane tut, ist im Moment also schlicht und einfach ausreichend. Andere Topteams sind derzeit aus verschiedenen Gründen nicht auf solch einem Level und auch das nötige Glück war in den vergangenen zwei Champions-League-Saison eher auf Reals Seite. Überzeugend waren die Triumpfe allerdings nicht wirklich.

 

Kollege Martin Rafelt von Spielverlagerung hat im vergangenen SV-Podcast treffende Wort zur Diskussion um den Real-Trainer gefunden. Er kritisierte die „Taktik-Blase“ für deren voreingenommene und auf subjektiven Kriterien basierte Kritik an Zidane, merkt aber an: „mit solch einer Spielweise wäre Hoffenheim nur auf Platz 12 gelandet.“ Wie gut Zidane als Trainer wirklich ist, lässt sich daher immer noch schwer beurteilen. Klar, ein schlechter Trainer ist er sicher nicht. Ob er allerdings auf einer Stufe mit Pep Guardiola, Alex Ferguson und anderen Trainergrößen steht, lässt sich anhand seiner 1,5 Jahre bei Real noch nicht sagen.