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Marco Rose und die Weiterentwicklung von Roger Schmidt

Unter Marco Rose spielt Red Bull Salzburg ein weiterentwickeltes System von Roger Schmidt. Die Bullen werden in Österreich auch dieses Jahr das Maß aller Dinge sein.  

Eine Taktik-Analyse von Momo Akhondi

Nach der unglücklichen 2:3 Niederlage seiner Mannschaft gegen Tabellenführer Sturm Graz ließ Mattersburg-Trainer Gerald Baumgartner mit einer gewagten These aufhorchen: „Sturm ist zurzeit die spielstärkste Mannschaft in Österreich“. Und obwohl Gerald Baumgartner im Zuge dieser Pressekonferenz einige richtige Meinungen vertrat und Sturm Graz diese Saison tatsächlich Besserungen im spielerischen Bereich vorweisen kann, so liegt Baumgartner trotzdem falsch, denn spielerisch ist nach wie vor Red Bull Salzburg das Maß aller Dinge in der österreichischen Bundesliga.

 

Schon unter dem Spanier Oscar Garcia haben die Mozartstädter eine starke spielerische Linie verfolgt, unter Neo-Coach Marco Rose wird dieser Weg jetzt in abgewandelter Form fortgeführt, wobei gleichzeitig auch die „traditionellen“ Stärken der Salzburger gegen den Ball ein Facelift erhalten haben.

 

Formationswechsel

Am Auffälligsten ist hierbei freilich der Formationswechsel weg vom 4-1-4-1/4-3-3, das unter Oscar Garcia gespielt wurde. Unter dem ehemaligen U18-Trainer agiert Red Bull mit einer Raute im Mittelfeld, die man am ehesten als 4-1-2-1-2 beschreiben kann. Gegen Viitorul agierten vor dem Solo-Sechser Samassekou halblinks und –rechts die beiden Achter Berisha und Rzatkowski. Die Spitze der Raute besetzte Shooting-Star Hannes Wolf. Vorne haben die beiden Salzburger Stürmer Hwang und Dabbur dafür leicht angepasste Stürmer-Rollen.

Bild 1 – seitlich ausweichende Stürmer – offensiv vorstoßender Wolf

Nachdem das Zentrum durch die Salzburger-Raute massiv besetzt ist, sind unter anderem die Stürmer dafür verantwortlich die Flügelräume zu besetzen. Vor allem auf der linken Seite war es oft Dabbur, der nach außen auswich, damit den direkten Gegenspieler mit nach außen lockte und gleichzeitig eine Anspielstation für Linksverteidiger Ulmer schuf. Doch auch Achter Berisha übernahm diesen Part immer wieder auf links.

 

Hannes Wolf hingegen spielte nicht den klassischen Spielmacher auf der Zehn, sondern hatte viel mehr den Auftrag in die Sturmspitze nachzustoßen, sobald sich Lücken in der letzten Linie des Gegners bildeten oder Wolf sich mit seinen Mitspielern bis in den Strafraum durchkombinieren konnte. Bestes Beispiel hierfür war der 2:1 Führungstreffer der Salzburger.

Bild 2 – Dabbur weicht auf der linken Seite weit nach außen aus und kommt Ulmer entgegen. Damit zieht er den Rechtsverteidiger von Viitorul mit hinaus.

Bild 3 – in diesen durch Dabbur geöffneten Raum kann Hannes Wolf nachstoßen und wird mustergültig freigespielt – es folgt das 2:1 für Red Bull.

Auf der rechten Seite war es hingegen nicht Stürmer Hwang sondern fast durchgehend der rechte Achter Rzatkowski, der aus der Raute weit bis an die Outlinie rausschob, um Lainer zu unterstützen. Letzterer nutzte dann meist den dadurch geöffneten Raum, um den Deutschen zu vorderlaufen und in die Lücke nachzustoßen.

 

Bild 4 – Lainer spielt den ausweichenden Rzatkowski an und vorderläuft diesen.

Die Außenverteidiger Ulmer und Lainer waren gegen Viitorul der Startpunkt für fast jeden Angriff der Mozartstädter. Bemerkenswert war dabei die Geschwindigkeit, in der sich die Viererkette von Red Bull in Position brachte, sobald der Ball bei Keeper Stankovic landete und ein geordneter Spielaufbau möglich war. Von Stankovic kam der Ball dann über die Innenverteidiger zu den Außenverteidigern, die dann die Möglichkeit hatten das Spiel „long-line“ die Outlinie entlang, auf Wolf zwischen den Linien oder diagonal auf den ballentfernten Achter zu eröffnen.

 

Bild 5 – Ulmer auf links in der Spieleröffnung, hier ist Berisha an die linke Outlinie ausgewichen, Wolf steht zwischen den Linien bereit. Rzatkowski steht als diagonal-ballferne Option zur Verfügung.

Auf der Gegenseite hatte Lainer, wie bereits erwähnt, fast ausschließlich Rzatkowski als Kombinationspartner. Die Angriffe über diese Seite waren dadurch auch ein wenig leichter zu durchschauen und dementsprechend weniger gefährlich. Alles in allem hatten die Bullen aber mit den gegenläufigen Bewegungen der beiden Achter Berisha und Rzatkowski, der Flexibilität der Sturmduos Dabbur-Hwang sowie der Dynamik von Wolf immer wieder starke Momente im Angriff. Bezeichnend hierfür auch das 3:1, bei dem der Ball diagonal vor den Strafraum gespielt wurde, wo gleich zwei Salzburger durch geschicktes Freilaufen und Durchlassen des Balles Dabbur freispielen konnten, welcher dann die Vorentscheidung erzielen konnte.

 

Prunkstück der Salzburger bleibt jedoch weiterhin das Pressing.

 

Bild 6 – Klassisches Rose-Pressing im 4-1-2-1-2

Gepresst wird in Salzburg weiterhin sehr hoch und aggressiv, die Grundformation aus dem jedoch agiert wird wurde leicht verändert. In der Rose-Raute wird vor allem die Mitte des Spielfeldes massiv besetzt, wobei die Mozartstädter hier mehrere unterschiedliche Linien besetzen. Samassekou und Wolf besetzen dabei jeweils eine Linie alleine, Berisha/Rzatkowski und Dabbur/Hwang jeweils die weiteren zwei. Somit verteidigt Red Bull auf nicht weniger als vier unterschiedlichen Linien, was der Mannschaft von Marco Rose die Möglichkeit gibt, ihre Staffelung gegen den Ball extrem flexibel umzugestalten und dabei trotzdem immer rasch Zugriff auf den gegnerischen Ballführenden auszuüben. Wird der Gegner dabei auf die Außenbahn gelenkt kann der Ballführende sehr schnell isoliert werden.

Bild 7 – Hwang lenkt den Gegner mit einem gebogenen Lauf auf die Außen, dort lauern schon Rzatkowski und Wolf

Doch das Ziel war es nicht immer den Gegner nach außen zu lenken, oft pressten die Stürmer Dabbur und Hwang den Gegner absichtlich von außen nach innen an um den Gegner in die Mitte zu lenken. Im Zentrum hatte man durch die Raute dabei eine numerische Überzahl; Viitorul fiel jedoch nur selten in diese Presssingfalle im Zentrum herein und entschied sich umso öfter für den hohen Ball, ein dankbarer Ball für die Verteidigung rund um Miranda und Caleta-Car.

Bild 8 – Hwang läuft von außen nach innen und lenkt den Gegner in die Mitte. Dort warten bereits mehrere Bullen.

Welche Mechanismen und Auslöser darüber entscheiden ob die Stürmer von innen nach außen (Bild 7) oder von außen nach innen (Bild 8) anlaufen sollen, kann an dieser Stelle nur das Trainerteam von Red Bull Salzburg beantworten. Es fällt insgesamt jedoch auf, dass die Pressingspieler im Team von Marco Rose mehrere Referenzpunkte haben, welche sie konstant scannen müssen, um dementsprechend gruppentaktisch unterschiedliche Pressingstaffelungen einzunehmen und unterschiedliche Pressingabläufe auszuführen.

 

Vor allem bei Stürmer Dabbur merkt man – wahrscheinlich durch den Umstand, dass dieser die Prinzipien noch nicht zu 100% verinnerlicht hat – wie er immer wieder versucht, auf unterschiedliche Aufbausituationen des Gegners zu reagieren und das dazu passende Anlaufverhalten im Pressing zu wählen, wobei die Mozartstädter hier aufgrund des Rauten-Pressings im 4-1-2-1-2 auf vier unterschiedlichen Linien dementsprechend variabel sind und flexibel unterschiedliche Drucksituationen für den Gegner kreieren können. Dementsprechend variantenreich sind die Bullen diese Saison in ihrem Pressing bislang. Insgesamt ist das Pressing dadurch, dass es so vielfältig gestaltet ist und mit dem 4-1-2-1-2 aus einer interessanten Grundformation heraus praktiziert wird, potenziell sogar eine Weiterentwicklung des 2011 durch Roger Schmidt errichteten 4-2-2-2.

 

Fazit: Markenzeichen wiederbelebt

Unter Marco Rose wurde bislang nicht nur das Markenzeichen der Red Bull Familie – das Offensivpressing – wiederbelebt und zum ersten Mal seit langem sogar weiterentwickelt und verbessert, sondern auch das Spiel mit dem Ball, gekennzeichnet durch seinen starken Fokus auf das Zentrum und die Halbräume, ist potenziell extrem interessant und taktisch sehr anspruchsvoll. Viele Abläufe mit und ohne Ball sind offensichtlich noch nicht zu 100% implementiert, nichtsdestotrotz ist es beeindruckend, dass die Mozartstädter die ersten zehn Pflichtspiele unter dem Neo-Coach ohne Niederlage absolvieren konnten. Einzig das unglückliche Ausscheiden gegen Rijeka ist der große Wermutstropfen in dieser Entwicklung. Doch wenn Rose und sein Team ihre Spielprinzipien noch weiter festigen können, dann werden die Mozartstädter auch dieses Jahr das Maß aller Dinge sein.

Über den Autor: Momo Akhondi

Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und arbeitet mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammen.

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